Die verbotene Pforte
ihn im Traum viel mehr beunruhigt hatte, war der Hunger auf ein Eichhörnchen, das er quer über eine Wiese verfolgte.
Aber nun: nichts!
Der Mond sah kleiner aus, er stand nun hoch am Himmel. Das Meer glänzte wie eine Öllache. Die Haie waren verschwunden – und auch von den Haimenschen gab es weit und breit keine Spur.
Vorsichtig schlich Tobbs zur Wasserlinie und blickte auf die Lagune. Und da war wieder etwas. Seine Nase zuckte. Da war … eine Ahnung. Von … Rauch? Doch dieser Rauch roch anders als das Lagerfeuer. In Dopoulos’ Keller hatte es einmal ähnlich gerochen, nachdem seine Brennkammer explodiert war.
Langsam drehte Tobbs sich um und schnupperte konzentriert. Auf der falschen Seite des Horizonts ging die Sonne auf. Zumindest leuchtete weit draußen ein rötlicher Schein. Und aus dem Schein stieg eine schwarze Rauchsäule in den Himmel. Mautschi-Iau!, schoss es ihm durch den Kopf. Unsere Insel! Wanja und Baba Jaga!
Tobbs preschte aus dem Stand los, Sand wirbelte hoch, als er über den Strand fegte. »Maui!«, schrie er. »Wach au…«
Dann schlug eine unsichtbare Faust gegen seine Stirn und fällte ihn wie ein Axthieb eine Tulpe. Unsanft landete er auf dem Rücken. Sein Kopf verwandelte sich in ein pulsierendes Wellental von Schmerz. Verwirrt blinzelte er und sah … gar nichts. Vor ihm nur Luft – aber sein Schädel fühlte sich an, als wäre er gegen eine Wand gelaufen, und als er vorsichtig seine Stirn befühlte, spürte er außer der Beule, die bereits zu wachsen begann, ein Muster, das sich in seine Haut gedrückt hatte. Es fühlte sich verdächtig nach Holzfasern an.
»Tobbs?« Mauis Stimme.
Tobbs wollte sich gerade aufrappeln, als sich die Luft vor ihm öffnete. Goldener, schräger Herbstsonnenschein überflutete ihn. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein seltsam eckiges Haus mit einem Dach, das aussah, als wäre es verkehrt herum aufgesetzt, und auf mehrere Bäume, die in goldgelbem Laub leuchteten. Blätter, die der Wind fortgeweht hatte, standen seltsamerweise mitten in der Luft, als wäre die Zeit stehen geblieben. Gerade als er begriff, dass er durch eine Tür in ein anderes Land schaute, wurde das Bild milchig und begann zu wabern, Zeit und Raum wirbelten. Eine kalte Bö wehte ihm Regen und nasses Laub ins Gesicht. Ein gelbes Blatt klatschte gegen seine heiße Stirn, dann stürzte ein totenblasser Mann auf ihn zu. Wilde weiße Locken und ein weißer Bart umrahmten sein rundliches Gesicht. Er trug eine Art blütenweiße Kutte und passte nach Tajumeer wie eine kunstvoll verzierte Sahnetorte in die Steinzeit. Das Einzige, was den Eindruck von blasser Makellosigkeit störte, war das Klirren von Ketten, als er jetzt über Tobbs hinwegsprang. Das andere, was nicht ins Bild passte, war die Axt in seiner Hand. Der Mann stolperte japsend über seine eigenen Füße und keuchte nach Luft. Offenbar musste er sich an eine viel schneller laufende Zeit gewöhnen.
»Weg da, Junge!«, herrschte ihn der Mann an und versetzte ihm einfach einen Tritt in die Rippen. Tobbs schrie auf und warf sich zur Seite. Genau im richtigen Augenblick, denn beinahe zeitgleich löste sich der Wirbel und spuckte einen Pfeil aus, der sich direkt neben Tobbs in den Sand bohrte. Ein roter Pfeil. Mit silbernen Schriftzeichen.
Der weiße Mann schlug hastig die Tür zu. Kurz bevor der Herbstsonnenschein verschwand, erhaschte Tobbs noch einen Blick auf das Gesicht des Mannes. Das heißt auf die zwei Gesichter. Denn sein Kopf hatte tatsächlich eine Vorder- und eine Rückseite. Ein Gesicht blickte nach vorn, das andere nach hinten!
»Deckung, Junge!«, knurrte ihm der Doppelgesichtige zu. Seine Ketten rasselten, als er mit der Axt ausholte. Mit aller Kraft ließ er sie auf den Türstock niedersausen. Doch es war zu spät.
Mit einem Knall, der das Becken der Lagune in Schwingung versetzte, als wäre das Atoll ein großes Wasserglas, zerbarst die Tür unter dem Einschlag von Dutzenden von Bolzen.
»He, ihr Götter!«, kreischte der Doppelgesichtige. »Seht her! Einbrecher! Krieger! Mörder in eurem Revier!«
Er drehte sich um und rannte wie ein Besessener den Strand entlang. Tobbs erinnerte sich nicht, wann er aufgesprungen war, denn nun rannte er ebenfalls – und zwar zum Lager. Hinter sich hörte er Keuchen und gleich darauf wütende Schreie. »Ano yatsu o toriosaero!«, brüllte irgendjemand.
Tobbs sah sich im Laufen um. Mit Schwertern und Äxten bewaffnet brachen weitere Krieger durch die halb
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