Die Vergessenen Schriften IV
besah die unzähligen mehr oder weniger gut verheilten Wunden auf dem Oberkörper, an den Armen und Beinen und sogar im Gesicht. „Gibt es eine Stelle, die du beim Verletzen ausgelassen hast?“, erkundigte er sich beeindruckt.
„Sieht du eine?“, gab Sisaroth zurück und versuchte, seine Aufregung im Zaum zu halten. Er wusste, was seine Geschwister von ihm erwarteten. Tirîgon hatte ihnen eine Herde Feuerstiere gebracht, Firûsha brachte ihnen erst vor kurzem zwei weitere Elben, die sie auf ihren Reisen durch die besetzten Gebiete aufgespürt hatte.
Der Einzige ohne einen ähnlich achtbaren Erfolg, war er.
Dazu lastete immer noch der Makel auf ihm, in Phondrasôn wegen des Infamenschädels für sehr viel Aufruhr gesorgt zu haben. Das warfen ihm weder Bruder noch Schwester laut vor, doch er bildete sich ein, manchmal in ihren Blicken lesen zu können.
Tirîgon besah sich den Unterirdischen genau. „Den Lendenschurz werde ich nicht antasten. Was haben du und Serîdai mit der Bergmade angestellt?“
„Wir hielten uns an die Hinweise, die ich aus Arviûs Protokollen entnahm. Ohne den Beistand des Infamen …“ Sisaroth sah aus den Augenwinkeln, wie Firûshas Kopf herumschnellte und sich die prüfenden Blicke auf ihn richteten. Sie denkt immer noch, ich trauere dem Schädel nach. Er räusperte sich. „Jedenfalls hatten wir nicht mehr als Serîdais Macht und mein Wissen, was Tränke angeht. Sie sieht es als ihre Pflicht an, das zu Ende zu bringen, was die Cîanai von damals begann. Ich preise Samusin, dass sie sich uns zu erkennen gab.“ Er deutete auf den Unterirdischen. „Wichtig ist, den Willen der Unterirdischen durch Schmerz anzubrechen, bevor wir ihnen die Tränke verabreichen. Wir zogen Bendolín teilweise die Haut ab, versetzten ihn durch diverse Foltergerätschaften in einen dauerhaften Schmerzzustand und gaben ihm Mittel, die gleichzeitig seine Empfänglichkeit für Qualen erhöhten.“
„Wie lange habt ihr ihn leiden lassen?“, erkundigte sich Firûsha neugierig. Sie trug ein knöchellanges, schwarzes Kleid mit grauen Mustern darauf. Ein Mantel schützte sie vor den Wassertropfen, die gelegentlich von der Decke fielen.
„Seit er sich in meiner Gewalt befand. Entscheidend ist, dass das Exemplar alt ist. Arviû nahm an, dass die Jüngeren leichtere Opfer sind, aber Serîdai und ich fanden heraus, dass es sich umgekehrt verhält.“
„Zumindest bei diesem hier“, warf Tirîgon ein. „Sind das die gleichen Tätowierungen wie bei Tungdil? Sie gleichen ihnen sehr.“
„Nun, in etwa. Hier haben sie eine andere Wirkungsweise. Die Farbe ist vermischt mit Substanzen, die ihre Wirkung weiterhin und sehr behutsam abgeben. Außerdem haben wir seinen Körper abhängig von der Tinktur gemacht. Nimmt er sie nicht regelmäßig ein“, erläuterte Sisaroth, „wird er unglaubliche Schmerzen spüren, ehe er stirbt. Das ist unsere Rückversicherung gegen Ungehorsam.“
„Also in etwa wie bei Tungdil“, fand Firûsha.
„Wir behandelten ihn mit verschiedenen Essenzen, die auf destilliertem und angereicherten Elbenblut basieren, dem wir sowohl Lebenssaft von Nachtmahren als auch etwas von meinem Blut zugaben. Die Verdünnung“, erläuterte er weiter, „muss äußerst hoch sein, sonst bringt es die Unterirdischen um, wie wir herausfanden.“ Sisaroth zeigte auf Bendolín. „Bei ihm ist die Verwandlung abgeschlossen. Er ist nun ein Zhadár.“
Firûsha lachte auf. „Du nennst ihn nach ihm ?“
„Es heißt nichts anderes als unsichtbar, wenn man den Namen in unserer Sprache anders betont. Und weil sie sich darüber hinaus so ähnlich sehen, fand ich die Bezeichnung passend“, verteidigt Sisaroth die Wahl.
„Lass ihn. Er hat sie erschaffen, daher gebührt ihm das Recht, sie zu nennen, wie er es für richtig hält.“ Tirîgon kehrte zu ihnen zurück und zog Firûsha die Kapuze über die schwarzen Haare und das Diadem, um sie vor der Feuchtigkeit zu bewahren. Sie lächelte ihn freundlich an. „Für einen Unsichtbaren kann ich ihn jedoch noch sehr genau erkennen.“
„Ihr werdet gleich Zeugen, wie wir die letzte entscheidende Umwandlungen vornehmen. Danach ist Bendolín nicht länger ein Unterirdischer.“ Sisaroth rief Serîdai herbei.
Die spindeldürre Cîanai eilte aus einem Nebenraum heran und trug eine kleine Phiole mit schwarzer Flüssigkeit ehrfürchtig herbei. „Hier kommt die Essenz“, flüsterte sie und reichte sie ihm. „Sie ist fertig, Aklán.“
„Wie viel bekommt er davon?“,
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