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Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis

Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis

Titel: Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. Salvatore
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genügen könnte, die ihn bitten. Jedes dieser Probleme könnte überwunden werden, bei jedem davon würden Wulfgars Freunde, darunter auch ich, ihm helfen. Doch nein, es ist keines dieser lösbaren Probleme. Es ist einfach nur, dass es ihn nicht kümmert.
    Könnte es sein, dass seine eigene Pein in den Klauen von Errtu so groß und überwältigend war, dass er seine Fähigkeit verloren hat, den Schmerz anderer nachzuempfinden? Hat er zu viel Grauen gesehen, zu viel Leid, um ihre Schreie noch hören zu können? Dies ist es, was ich mehr als alles andere fürchte, denn es ist ein Verlust, für den es keine allgemeingültige Behandlung gibt. Doch um ehrlich zu sein, sehe ich genau dies in Wulfgars Zügen eingemeißelt: einen Zustand der Selbstversunkenheit, in der zu viele Erinnerungen an das durchlittene Grauen ihm den Blick trüben. Vielleicht bemerkt er die Schmerzen anderer nicht einmal. Oder vielleicht tut er sie, falls er sie doch wahrnimmt, als unbedeutend ab, verglichen mit den ungeheuerlichen Torturen, die er selbst in den sechs Jahren seiner Gefangenschaft bei Errtu durchlitten hat. Der Verlust an Mitgefühl mag sehr wohl die langwierigste und tiefste Narbe von allen sein, die lautlose Klinge eines unsichtbaren Feindes, die nach unseren Herzen sticht und uns mehr raubt als nur unsere Stärke. Sie stiehlt unseren Willen, denn was sind wir ohne Mitgefühl? Welche Freude können wir in unserem Leben finden, wenn wir nicht die Freuden und Schmerzen jener begreifen, die uns umgeben, wenn wir nicht an einer Gemeinschaft teilhaben können? Ich erinnere mich an meine Jahre im Unterreich, nachdem ich aus Menzoberranzan geflohen war. Alleine, mit Ausnahme der gelegentlichen Besuche von Guenhwyvar, überlebte ich jene langen Jahre mit Hilfe meiner Vorstellungskraft. Ich bin mir nicht sicher, ob Wulfgar selbst noch über diese Veranlagung verfügt, denn Vorstellungskraft setzt Selbstbeobachtung voraus, die Fähigkeit, mit den Gedanken ins eigene Innere zu schauen, und ich fürchte, dass mein Freund jedesmal, wenn er in sich hineinblickt, nur die Quälgeister Errtus sieht, den Morast und das Grauen des Abgrunds.
    Er ist umgeben von Freunden, die ihn lieben und von ganzem Herzen versuchen werden, ihm dabei zu helfen, aus Errtus Gefühlkerker herauszuklettern. Vielleicht wird Catti-brie, die Frau, die er einst so innig liebte (und was er möglicherweise noch immer tut), sich als entscheidend für seine Erholung erweisen. Es schmerzt mich, die beiden zusammen zu sehen, das gebe ich zu. Sie behandelt Wulfgar mit so viel Zärtlichkeit und Mitleid, aber ich weiß, dass er ihre sanfte Berührung nicht spürt. Besser wäre es, sie schlüge ihm ins Gesicht, schaute ihm ernst ins Gesicht und hielte ihm seine Lethargie vor Augen. Ich weiß dies, und doch kann ich ihr nicht den Rat geben, ihn so zu behandeln, denn ihre Beziehung zueinander ist um so vieles komplizierter. Ich habe nichts als Wulfgars Bestes im Sinn, und doch, würde ich Catti-brie zu einer Handlungsweise raten, die nicht mitfühlend erscheint, dann könnte, würde es so sein – zumindest für Wulfgar in seinem gegenwärtigen Zustand –, dass man es als die Einmischung eines eifersüchtigen Mitbewerbers auslegte.
    Doch so ist es nicht. Denn obgleich ich Catti-bries wahre Gefühle diesem Mann gegenüber nicht kenne, der einst ihr Verlobter war – denn in letzter Zeit verbirgt sie ihre Gefühle sehr stark –, so erkenne ich doch, dass Wulfgar im Augenblick nicht fähig ist zu lieben. Nicht fähig zu lieben … gibt es traurigere Worte, um einen Mann zu beschreiben? Ich glaube nicht, und ich wünschte, ich könnte Wulfgars Geisteszustand anders bewerten. Doch Liebe, ehrliche Liebe, erfordert Mitgefühl. Sie ist ein Teilen – von Freude, von Schmerz, von Lachen, von Tränen. Ehrliche Liebe macht aus der eigenen Seele eine Widerspiegelung der Stimmungen des Partners. Und so, wie ein Raum größer erscheint, wenn er mit Spiegeln behängt ist, so vervielfacht sich die Freude. Und so, wie einzelne Gegenstände in einem Spiegelraum weniger hervorstechend zu sein scheinen, so verringert und verblasst auch Schmerz durch dieses Teilen.
    Dies ist die Schönheit der Liebe, ob sie eine der Leidenschaft oder der Freundschaft ist. Ein Teilen, das die Freunde vervielfacht und den Schmerz verringert. Wulfgar ist jetzt von Freunden umgeben, die alle zu einem solchen Teilen bereit sind, so wie es früher zwischen uns war. Doch er kann uns nicht teilhaben lassen, er kann die Panzer

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