Die verlorene Bibliothek: Thriller
und tief unter der Erde, würde endlich wieder leuchten.
Emily konzentrierte sich auf den Computer. Fünfundvierzig Minuten waren vorbei; alles lief nach Plan. Emily musste nur zuschauen und Wexler dann sagen, was sie entdeckt und getan hatte, wenn er kam. Sie wusste nicht, ob der Professor sie dafür loben oder verdammen würde; aber er würde damit leben können. Und was noch wichtiger war: Sie selbst würde damit leben können.
Als einen Moment später die Tür zu Peter Wexlers Büro aufflog, stand jedoch nicht der alte Professor vor Emily. Während Jason Westerberg in den Raum stürmte und sicherstellte, dass Emily allein war, erschien Ewan Westerberg in der Tür und richtete eine Waffe auf Emilys Stirn.
KAPITEL EINHUNDERTELF
10:54 U HR
»Dr. Wess«, sagte Ewan. »Endlich stehen wir uns persönlich gegenüber.« Er sprach ohne Emotionen und mit amerikanischem Akzent; sein silbernes Haar war elegant frisiert und sein schwarzer Anzug maßgeschneidert. Er stank nach Big Business, Macht und Autorität, und die Waffe in seiner Hand schien ihm nicht das geringste Unbehagen zu bereiten.
Emily kannte den Mann nicht, doch seinen Gefährten erkannte sie als den Wortführer der beiden Kerle, die sie in Istanbul angegriffen hatten. Es fiel ihr nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.
»Sie müssen der Sekretär sein«, erwiderte Emily und schaute über Wexlers Schreibtisch hinweg zu den beiden Männern. Der Computer links von ihr arbeitete weiter.
»Das ist nur ein Fakt von vielen«, antwortete Ewan, »die Sie wissen sollten. Der Bewahrer hat einen Fehler gemacht, als er Sie in die Sache hineingezogen hat.« Sein Blick bohrte sich in Emily. »Aber Fehler kann man korrigieren.« Die Pistole war weiterhin auf die Stelle zwischen Emilys Augen gerichtet.
Emily ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Ihr Leben hatte sich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden dramatisch verändert, und irgendwann auf diesem Weg hatte sie eine Kraft in sich entdeckt, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß. Als sie nun zu dem Mann aufblickte, der sie mit ziemlicher Sicherheit töten wollte, war sie innerlich vollkommen ruhig. Ja, vielleicht war das das Ende, doch dieser Mann würde sie nicht besiegen.
»Bitte, entschuldigen Sie, wenn ich nicht der bin, den zu sehen Sie gehofft haben«, fuhr Ewan fort. »Wenn Peter Wexler eintrifft, wird das alles hier schon längst vorbei sein.« Er nickte zu dem Telefon, das neben der Tastatur auf Wexlers Schreibtisch lag. Emilys Naivität enttäuschte den Sekretär ein wenig. »Wir haben mitgehört, als Sie ihm von Ihrer Entdeckung berichtet haben. Dann haben wir Ihre Schritte nachverfolgt und dasselbe Interface gefunden. Das Einzige, was uns jetzt noch fehlt, ist das Passwort.«
Emily gestattete sich einen raschen Blick zum Monitor; dann wandte sie sich wieder dem Sekretär und seiner Waffe zu.
Fast. Es ist noch nicht ganz fertig.
Ewan trat einen Schritt vor. Der stumme Trotz der jungen Frau ärgerte ihn. Er spannte den Hahn seines geliebten Army Revolvers und sagte drohend: »Dr. Wess, ich verspreche Ihnen, dass Sie mir das Passwort sagen werden. Und dann werden Sie sterben. Das sind simple Tatsachen, die Sie entweder akzeptieren können oder auch nicht. Aber ich werde diesen Raum nicht verlassen, ehe ich nicht Zugang zur Bibliothek und endgültig sichergestellt habe, dass meine Arbeit in Washington nicht mehr von so einem amateurhaften Niemand wie Ihnen gefährdet wird.«
Jason, der neben seinem Vater stand, beobachtete, wie Emilys Augen bei der Drohung seines Vaters immer größer wurden. Auch bemerkte er den Computer auf dem Tisch. Emily hatte daran gearbeitet, als er in den Raum gekommen war.
»Sind Sie gerade eingeloggt?«, fragte er und durchbrach damit das bedrohliche Schweigen des Sekretärs. Das schiere Potenzial dessen, was vermutlich gerade auf dem kleinen Desktopcomputer zu sehen war, die Tatsache, dass alles hier war, ließ Jason seine übliche Zurückhaltung vergessen.
Emily dachte darüber nach, Zeit zu schinden, und so zögerte sie mit ihrer Antwort. Aber sie hatte die Zeit gehabt, die sie benötigt hatte. Der Prozess war nun so gut wie abgeschlossen, und es ergab keinen Sinn mehr, ihn weiter zu verbergen. Die Zeit war gekommen, der Geheimniskrämerei ein Ende zu bereiten.
»Ja«, antwortete sie schließlich und drehte sich zu Jason um. »Da sonst niemand mehr lebt, der über den Zugang dazu verfügt, hat sich Holmstrands Wunsch wohl erfüllt, und ich
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