Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
2. war ich zu diesem Hausball eingeladen, der eigentlich am 21. 2., an Weiberfastnacht, hatte stattfinden sollen, dann aber vorverlegt wurde, weil Frau Woltersheim für Weiberfastnacht berufliche Verpflichtungen übernommen hatte. Es war das erste Tanzvergnügen, an dem ich seit vier Jahren teilnahm. Ich korrigiere meine Aussage dahingehend: verschiedentlich, vielleicht zwei-, drei-, möglicherweise viermal habe ich bei Blornas mitgetanzt, wenn ich dort abends bei Gesellschaften aushalf. Zu vorgerückter Stunde, wenn ich mit Aufräumen und Abwaschen fertig war, wenn der Kaffee serviert war und Dr. Blorna die Bar übernommen hatte, holte man mich in den Salon, und ich tanzte dort mit Herrn Dr. Blorna und auch mit anderen Herren aus Akademiker-, Wirtschafts- und Politikerkreisen. Später bin ich nur noch sehr ungern oder zögernd. dann gar nicht mehr diesen Aufforderungen gefolgt, es kam, da die Herren oft angetrunken waren, auch dort zu Zudringlichkeiten. Genauer gesagt: seitdem ich mein eigenes Auto besaß, habe ich diese Aufforderungen abgelehnt. Vorher war ich davon abhängig, dass einer der Herren mich nach Hause brachte. Auch mit diesem Herrn dort” – sie zeigte auf Hach, der tatsächlich errötete – “habe ich gelegentlich getanzt.” Die Frage, ob auch Hach zudringlich geworden sei, wurde nicht gestellt.
18.
Die Dauer der Vernehmungen ließ sich daraus erklären, dass Katharina Blum mit erstaunlicher Pedanterie jede einzelne Formulierung kontrollierte, sich jeden Satz, so wie er ins Protokoll aufgenommen wurde, vorlesen ließ. Z. B. die im letzten Abschnitt erwähnten Zudringlichkeiten waren erst als Zärtlichkeiten ins Protokoll eingegangen bzw. zunächst in der Fassung, “dass die Herren zärtlich wurden”; wogegen sich Katharina Blum empörte und energisch wehrte. Es kam zu regelrechten Definitionskontroversen zwischen ihr und den Staatsanwälten. ihr und Beizmenne, weil Katharina behauptete, Zärtlichkeit sei eben eine beiderseitige und Zudringlichkeit eine einseitige Handlung, und um letztere habe es sich immer gehandelt. Als die Herren fanden, das sei doch alles nicht so wichtig und sie sei schuld, wenn die Vernehmung länger dauere als üblich sei, sagte sie, sie würde kein Protokoll unterschreiben, in dem statt Zudringlichkeiten Zärtlichkeiten stehe. Der Unterschied sei für sie von entscheidender Bedeutung, und einer der Gründe, warum sie sich von ihrem Mann, getrennt habe, hänge damit zusammen, der sei eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich gewesen.
Ähnliche Kontroversen hatte es um das Wort “gütig”, auf das Ehepaar Blorna angewandt, gegeben. Im Protokoll stand “nett zu mir”, die Blum bestand auf dem Wort gütig, und als ihr statt dessen gar das Wort gutmütig vorgeschlagen wurde, weil gütig so altmodisch klinge, war sie empört und behauptete, Nettigkeit und Gutmütigkeit hätten mit Gute nichts zu tun, als letzteres habe sie die Haltung der Blornas ihr gegenüber empfunden.
19.
Inzwischen waren die Hausbewohner vernommen worden, von denen der größere Teil mehr oder weniger gar nichts über Katharina Blum aussagen konnte; man habe sie gelegentlich im Aufzug getroffen, sich gegrüßt, wisse, dass ihr der rote Volkswagen gehöre, man habe sie für eine Chefsekretärin gehalten, andere für eine Abteilungsleiterin in einem Warenhaus, sie sei immer adrett, freundlich, wenn auch kühl gewesen. Von den Bewohnern der fünf Appartements im achten Stock, in dem Katharinas Wohnung lag, konnten nur zwei Näheres mitteilen. Die eine war die Inhaberin eines Frisiersalons, Frau Schmill, der andere war ein pensionierter Beamter vom Elektrizitätswerk namens Ruhwiedel, und das Verblüffende war die beiden Aussagen gemeinsame Behauptung, Katharina habe hin und wieder Herrenbesuch empfangen oder mitgebracht. Frau Schmill behauptete, der Besuch sei regelmäßig gekommen, so alle zwei, drei Wochen, und es sei ein etwa vierzigjähriger, sehr elastisch wirkender Herr aus “offensichtlich besseren Kreisen” gewesen, während Herr Ruhwiedel den Besucher als ziemlich jungen Schlacks bezeichnete, der einige Male allein, einige Male mit Fräulein Blum gemeinsam deren Wohnung betreten habe. Und zwar innerhalb der vergangenen zwei Jahre etwa acht- bis neunmal, “und das sind nur die Besuche, die ich beobachtet habe – über die, die ich nicht beobachtet habe, kann ich natürlich nichts sagen”.
Als Katharina am späten Nachmittag mit diesen Aussagen konfrontiert und aufgefordert wurde,
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