Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
dazu Stellung zu nehmen, war es Hach, der ihr, noch bevor er die Frage formulierte, entgegenzukommen versuchte und ihr nahelegte, ob diese Herrenbesuche etwa die Herren gewesen wären, die sie gelegentlich nach Hause gebracht hätten. Katharina, die über und über rot geworden war, aus Scham und aus Ärger, fragte spitz zurück, ob es etwa verboten sei, Herrenbesuche zu empfangen, und da sie die aus Freundlichkeit von ihm gebaute Brücke nicht betreten wollte oder gar nicht als solche erkannte, wurde auch Hach etwas spitzer und sagte, sie müsse sich klar darüber werden, dass man hier einen sehr ernsten Fall untersuche, nämlich den Fall Ludwig Götten, der weitverzweigt sei und Polizei und Staatsanwaltschaft schon über ein Jahr beschäftige, und er frage sie hiermit, ob es sich bei dem Herrenbesuch, den sie offenbar nicht ableugne, immer um ein und denselben Herrn gehandelt habe. Und hier nun griff Beizmenne brutal zu und sagte: “Sie kennen den Götten also schon zwei Jahre.” Über diese Feststellung war Katharina so verblüfft, dass sie keine Antwort fand, Beizmenne nur kopfschüttelnd anblickte, und als sie dann ein erstaunlich mildes “Aber nein, nein, ich habe ihn erst gestern kennengelernt” herausstotterte, wirkte das nicht sehr überzeugend. Da sie nun aufgefordert wurde, den Herrenbesuch zu definieren, schüttelte sie “fast entsetzt” den Kopf und verweigerte darüber die Aussage. Nun wurde Beizmenne wieder väterlich und redete ihr zu, es sei doch gar nichts Schlimmes, wenn sie einen Freund habe, der – und hier machte er einen entscheidenden psychologischen Fehler – nicht zudringlich, sondern vielleicht zärtlich zu ihr gewesen sei; sie sei ja geschieden und nicht mehr zur Treue verpflichtet, und es sei nicht einmal – der dritte entscheidende Fehler! – verwerflich, wenn da möglicherweise bei unzudringlichen Zärtlichkeiten gewisse materielle Vorteile heraussprängen. Und damit war Katharina Blum endgültig verbockt. Sie verweigerte weiterhin die Aussage und bestand darauf, in eine Zelle oder nach Hause verbracht zu werden. Zur Verblüffung aller Anwesenden erklärte Beizmenne, milde und müde – es war inzwischen 20.40 Uhr geworden —, er lasse sie durch einen Beamten nach Hause bringen. Dann aber, als sie schon aufgestanden war und ihre Handtasche, den Toilettenbeutel und die Plastiktüte zusammenraffte, fragte er sie ganz plötzlich und hart: “Wie ist er bloß diese Nacht aus dem Haus herausgekommen, Ihr zärtlicher Ludwig? Alle Eingänge, alle Ausgänge waren bewacht – Sie, Sie müssen einen Weg gewusst und ihn ihm gezeigt haben, und ich werde es herausbekommen. Auf Wiedersehen.”
20.
Moeding, Beizmennes Assistent, der Katharina nach Hause fuhr, berichtete später, er sei über den Zustand der jungen Frau sehr beunruhigt und fürchte, dass sie sich etwas antun könne; sie sei völlig zerschmettert, fix und fertig, und habe überraschenderweise ausgerechnet in diesem Zustand Humor gezeigt oder erst entwickelt. Als er mit ihr durch die Stadt gefahren sei, habe er sie scherzhaft gefragt, ob es nicht doch nett wäre, wenn man jetzt unbefangen und ohne Hintergedanken irgendwo einen trinken und zusammen tanzen gehen könne, und sie habe genickt und gesagt, das wäre nicht übel, vielleicht sogar nett, und später vor ihrem Haus, als er ihr angeboten habe, sie nach oben bis vor ihre Türe zu bringen, habe sie sarkastisch gesagt: “Ach, besser nicht, ich habe Herrenbesuch genug, wie Sie wissen – aber trotzdem danke.”
Moeding versuchte den ganzen Abend und die halbe Nacht über, Beizmenne davon zu überzeugen, dass man Katharina Blum inhaftieren müsse, zu ihrem eigenen Schutz, und als Beizmenne ihn fragte, ob er etwa verliebt sei, sagte er, er habe sie nur gern, und sie sei gleichaltrig mit ihm, und er glaube nicht an Beizmennes Theorie von einer großen Verschwörung, in die Katharina verwickelt sei.
Was er nicht berichtete und was doch durch Frau Woltersheim Blorna bekannt wurde, waren die beiden Ratschläge, die er Katharina gab, die er immerhin durchs Foyer bis an den Aufzug begleitete, ziemlich heikle Ratschläge, die ihn hätten teuer zu stehen kommen können, und außerdem für ihn und seine Kollegen lebensgefährlich; er sagte nämlich zu Katharina, als sie vor dem Aufzug standen: “Lassen Sie die Finger vom Telefon. und schlagen Sie morgen keine Zeitung auf”, wobei nicht klar war, ob er die ZEITUNG meinte oder Zeitungen schlechthin.
21.
Es war etwa gegen 15.30
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