Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Diese Modelle sind gegenwärtig nicht beliebt, da sie nur schwer mit allen experimentellen Beobachtungen in Einklang gebracht werden können. Trotzdem werden die Experimentalphysiker am LHC Nachforschungen anstellen, um sicherzugehen.
Das Hierarchieproblem der Elementarteilchenphysik
Das Higgs-Boson ist nur die Spitze des Eisbergs der Möglichkeiten, die der LHC entdecken könnte. So interessant wie die Entdeckung des Higgs-Boson auch sein wird, sie ist jedenfalls nicht das einzige Ziel der experimentellen Suche am LHC. Der vielleicht wichtigste Grund für die Erforschung der schwachen Skala ist, dass niemand glaubt, dass das Higgs-Boson alles ist, was zu entdecken übrigbleibt. Die Physiker erwarten, dass das Higgs-Boson nur ein einzelnes Element eines viel reichhaltigeren Modells ist, das uns mehr über das Wesen der Materie und vielleicht sogar über den Raum lehren könnte.
Denn kein geringeres als das Higgs-Boson führt zu einem weiteren gewaltigen Rätsel, dem sogenannten Hierarchieproblem . Das Hierarchieproblem betrifft die Frage, warum die Teilchenmassen – und insbesondere die Higgs-Masse – gerade jene Werte besitzen, die sie besitzen. Die schwache Massenskala, die die Massen der Elementarteilchen bestimmt, ist zehntausend Billionen Mal kleiner als eine andere Massenskala – nämlich die Planckmasse, die die Stärke der Gravitationswechselwirkungen bestimmt (siehe Abbildung 54).
Die gewaltige Größe der Planckmasse relativ zur schwachen Masse entspricht der Schwäche der Schwerkraft. Gravitationswechselwirkungen hängen vom Kehrwert der Planckmasse ab. Wenn sie so groß ist, wie wir wissen, muss die Schwerkraft extrem schwach sein.
Abb. 54: Das Hierarchieproblem der Teilchenphysik: Die schwache Energieskala ist 16 Größenordnungen kleiner als die Planckskala, die mit der Schwerkraft verknüpft ist. Die Plancklängenskala ist entsprechend kürzer als die Entfernungen, die vom LHC untersucht werden.
Tatsache ist, dass die Gravitationskraft die bei weitem schwächste fundamentale Kraft ist. Die Gravitationskraft mag Ihnen zwar nicht als schwach erscheinen, aber das liegt nur daran, dass die gesamte Masse der Erde eine Anziehung auf Sie ausübt. Wenn Sie stattdessen die Gravitationskraft zwischen zwei Elektronen betrachten würden, würden Sie feststellen, dass die Kraft des Elektromagnetismus um 43 Größenordnungen größer ist. Das bedeutet, dass der Elektromagnetismus um 10 Millionen Billionen Billionen Billionen überwiegt. Die Gravitationskraft, die auf Elementarteilchen wirkt, ist völlig vernachlässigbar. Das Hierarchieproblem besteht dieser Betrachtungsweise nach in Folgendem: Warum ist die Gravitationskraft so viel schwächer als die anderen Grundkräfte, die wir kennen?
Abb. 55: Quantenbeitrag eines schweren Teilchens und seines Antiteilchens (links) und eines virtuellen Top-Quarks und seines Antiteilchens (rechts) zur Masse des Higgs-Bosons – z.B. bei GVT-Skala-Massen.
Elementarteilchenphysiker mögen keine unerklärten großen Zahlen, wie etwa die Größe der Planckmasse relativ zur schwachen Masse. Aber das Problem ist schwerwiegender als bloß ein ästhetischer Widerwille gegen rätselhafte große Zahlen. Der Quantenfeldtheorie zufolge, die die Quantenmechanik und die spezielle Relativitätstheorie umfasst, sollte es fast überhaupt keine Diskrepanz geben. Die Dringlichkeit des Hierarchieproblems lässt sich am besten in diesen Begriffen verstehen, zumindest von Theoretikern. Die Quantenfeldtheorie deutet darauf hin, dass die schwache Masse und die Planck’sche Massenkonstante in etwa gleich groß sein sollten.
In der Quantenfeldtheorie ist die Planckmasse nicht nur deshalb von Bedeutung, weil das die Skala ist, auf der die Gravitationskraft stark ist. Sie ist außerdem diejenige Masse, bei der sowohl die Gravitation als auch die Quantenmechanik von entscheidender Bedeutung sind und die Regeln der Physik, wie wir sie kennen, zusammenbrechen. Bei niedrigeren Energien wissen wir jedoch, wie wir Berechnungen der Elementarteilchenphysik mit Hilfe der Quantenfeldtheorie durchführen können. Diese Theorie liegt vielen erfolgreichen Vorhersagen zugrunde, die die Physiker davon überzeugen, dass sie richtig ist. Tatsächlich stimmen die am besten gemessenen Zahlen der gesamten Naturwissenschaft mit Vorhersagen überein, die auf der Quantenfeldtheorie beruhen. Eine solche Übereinstimmung ist kein Zufall.
Wenn wir jedoch ähnliche Prinzipien anwenden, um quantenmechanische
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