Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
wird die Luminosität gewiss groß genug sein, und die Suche nach dem Higgs-Boson wird eines seiner Hauptziele sein.
Diese Suche mag überflüssig erscheinen in Anbetracht der Tatsache, dass wir so zuversichtlich hinsichtlich der Existenz des Higgs-Bosons sind (und wenn dieses Unterfangen so schwierig ist). Aber die Anstrengung lohnt sich aus mehreren Gründen. Am wichtigsten ist vielleicht die Tatsache, dass theoretische Vorhersagen uns eben nur ein bestimmtes Stück weit bringen. Die meisten Menschen vertrauen auf und glauben zu Recht nur an naturwissenschaftliche Ergebnisse, die durch Beobachtungen bestätigt wurden. Das Higgs-Boson ist ein Teilchen, das sich von allem stark unterscheidet, was jemals entdeckt wurde. Es wäre der einzige fundamentale Skalar , der je beobachtet wurde. Im Unterschied zu Elementarteilchen wie Quarks und Eichbosonen bleiben Skalare – Elementarteilchen mit Spin-null – gleich, wenn man das System dreht oder einem Lorentz-Boost unterzieht. Die einzigen Spin-null-Teilchen, die bisher beobachtet wurden, sind gebundene Teilchenzustände wie z.B. von Quarks, die jeder für sich genommen einen von null verschiedenen Spin haben. Wir werden so lange nicht sicher wissen, dass ein Higgs-Skalar existiert, bis es auftaucht und eine sichtbare Spur in einem Detektor hinterlässt.
Zweitens, selbst wenn wir das Higgs-Boson finden und uns seiner Existenz gewiss sein können, werden wir seine Eigenschaften kennenlernen wollen. Die Masse ist zwar die wichtigste Unbekannte. Aber etwas über seine Zerfallsprozesse zu erfahren, ist ebenfalls von Bedeutung. Wir wissen zwar, was wir erwarten, aber wir müssen messen, ob die Daten mit den Vorhersagen übereinstimmen. Dadurch werden wir Auskunft darüber erlangen, ob unsere einfache Theorie des Higgs-Feldes richtig ist oder ob sie Teil einer komplizierteren Theorie ist. Durch die Messung der Eigenschaften des Higgs-Bosons werden wir Erkenntnisse darüber gewinnen, was es sonst noch jenseits des Standardmodells geben mag.
Wenn z.B. zwei Higgs-Felder anstatt eines einzigen für die Brechung der elektroschwachen Symmetrie verantwortlich wären, könnte das die beobachteten Wechselwirkungen der Higgs-Bosonen bedeutend verändern. Alternativen Modellen zufolge könnte die Produktionsrate von Higgs-Bosonen anders als erwartet ausfallen. Und wenn es andere Teilchen gibt, die unter dem Einfluss von Kräften des Standardmodells geladen werden, könnten diese die relative Zerfallsrate des Higgs-Bosons in die möglichen Endzustände beeinflussen.
Das bringt uns zum dritten Grund, warum wir das Higgs-Boson untersuchen wollen – wir wissen noch nicht, wodurch der Higgs-Mechanismus tatsächlich realisiert wird. Das einfachste Modell – dasjenige, auf das sich dieses Kapitel bislang konzentriert hat – erfordert es, dass das experimentelle Signal ein einzelnes Higgs-Boson sein wird. Aber auch wenn wir glauben, dass der Higgs-Mechanismus für die Masse der Elementarteilchen verantwortlich ist, sind wir doch noch nicht sicher im Hinblick auf die genaue Menge von Teilchen, die an seiner Realisierung beteiligt sind. Die meisten Leute glauben immer noch, dass wir wahrscheinlich ein leichtes Higgs-Boson finden werden. Wenn das der Fall ist, wird es eine wichtige Bestätigung einer wichtigen Idee sein.
Aber alternative Modelle nehmen komplizierte Higgs-Sektoren an und machen noch mehr Vorhersagen. Beispielsweise sagen supersymmetrische Modelle – die im nächsten Kapitel weiter betrachtet werden – mehr Teilchen im Higgs-Sektor voraus. Wir würden zwar immer noch erwarten, dass wir das Higgs-Boson finden, aber seine Wechselwirkungen würden sich von einem Modell unterscheiden, das nur ein einziges Higgs-Teilchen annimmt. Darüber hinaus könnten die anderen Teilchen des Higgs-Sektors eigene interessante Signaturen hinterlassen, wenn sie leicht genug sind, um erzeugt werden zu können.
Einige Modelle deuten sogar darauf hin, dass es ein fundamentales Higgs-Skalar gar nicht gibt, sondern dass der Higgs-Mechanismus durch ein komplizierteres Teilchen realisiert wird, das nicht fundamental, sondern vielmehr ein gebundener Zustand elementarerer Teilchen ist – ähnlich wie die gepaarten Elektronen, die dem Photon in einem supraleitenden Material Masse verleihen. Wenn das der Fall ist, sollte das Higgs-Teilchen des gebundenen Zustands überraschend schwer sein und andere Wechselwirkungseigenschaften aufweisen, die es von einem fundamentalen Higgs-Boson unterscheiden.
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