Die verschollene Flotte: Die Wächter: Roman (German Edition)
nichts.
Geary ließ sich in seinem Sessel zurücksinken und fragte sich, ob er Midway jemals wiedersehen würde. »Wie lange bis Sobek?«
»Zwanzig Tage«, sagte Desjani.
Nach interstellaren Maßstäben betrachtet, legten sie in der Zeit eine beträchtliche Strecke zurück. Die Situation erschien ihm wie vor langer Zeit, als er das Kommando über eine im Syndik-Heimatsystem in eine Falle geratene Flotte übernommen hatte. Damals hatte Desjani ihm vom Hypernet erzählt und davon, dass Reisen umso kürzer dauerten, je weiter man sich durch den Raum bewegte. Es war immer noch eigenartig, wenn er daran zurückdachte, und es irritierte ihn, nicht das vertraute, wenn auch unheimliche Grau des Sprungraums zu sehen, durch das von Zeit zu Zeit unerklärliche Lichter zuckten. Schon eigenartig, wie einen das Nichts stärker aus der Ruhe bringen kann als selbst die Fremdartigkeit des Sprungraums.
Charban schüttelte den Kopf. »Mir fällt es schon schwer, die Geschwindigkeiten zu begreifen, mit denen sich Raumschiffe innerhalb eines Sternensystems bewegen. Zehntausende Kilometer pro Sekunde ist zu schnell, als dass sich meine Instinkte etwas darunter vorstellen könnten, die die Fortbewegung auf einer Planetenoberfläche gewöhnt sind. Mit welcher Geschwindigkeit reisen wir jetzt, wenn wir in so kurzer Zeit eine solche Entfernung zurücklegen?«
»Wir besitzen momentan überhaupt keine Geschwindigkeit«, antwortete Desjani lächelnd. »Das habe ich mir mal von einer Expertin erklären lassen.« Dann wurde sie ernst, und Geary kannte auch den Grund dafür. Diese Expertin war Cresida gewesen, eine gute Freundin von Desjani. »Wir befinden uns jetzt an dem einen Portal und etwas später an dem anderen, aber physikalisch betrachtet haben wir die Strecke dazwischen nicht zurückgelegt. Wir haben nur unsere Position von einem Punkt zu einem anderen gewechselt.«
»Versteht das wirklich irgendjemand?«, überlegte Charban. »Oder sind wir immer noch Kinder, umgeben von Dingen, die wir gar nicht begreifen können. Dinge, in die wir mal einen Finger drücken, um zu sehen, was dann passiert?«
»Ich weiß es nicht«, meinte Desjani und blickte wieder auf ihr Display, auf dem nichts zu sehen war als die Situation an Bord der Dauntless . »Ich befehlige nur einen Schlachtkreuzer.«
Die erzwungene Isolation während der Reise im Hypernet ebenso wie im Sprungraum ließ einem viel Zeit, um liegengebliebene Arbeit nachzuholen. Geary saß am Tisch in seinem Quartier und betrachtete missmutig die lange Liste noch zu erledigender Posten, während er sich fragte, ob das nun eine gute oder eine schlechte Sache war. Warum wollte ich bloß Admiral werden? Ach, richtig, ich wollte niemals Admiral werden. Ich wollte nur meine Arbeit gut machen und weit genug aufsteigen, um mein eigenes Schiff befehligen zu können. Aber das Kommando über eine ganze Flotte? Eine Flotte, die weitaus größer war als die Allianz-Flotte, wie sie vor dem Krieg existiert hatte? Und dabei für jeden Mann und jede Frau verantwortlich zu sein? Und auch noch für die Tänzer, die jetzt zur Flotte gehören? Nein, das habe ich nie gewollt. Aber ich hab’s bekommen. Die Türglocke zu seinem Quartier wurde betätigt.
Geary versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie erfreut er über diese Störung war, ganz gleich von wem sie ausging. Hastig drehte er sich mit seinem Sessel so um, dass er die Luke sehen konnte, dann tippte er einen Befehl ein, der diese Luke öffnete.
Er hoffte auf Tanya, die sich ein paar Minuten mit ihm gönnen wollte, ohne von der gesamten Crew dabei beobachtet zu werden. Oder Rione, die ihm endlich mehr über ihre mysteriösen Geheimbefehle erzählte. Stattdessen trat der ernst und auch wenig melancholisch dreinblickende Gesandte Charban ein. »Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für mich, Admiral?«
»Natürlich, kommen Sie rein.«
Der Mann war längst nicht mehr so zögerlich wie zu Beginn dieser Mission. Er war als aufstrebender Politiker an Bord der Dauntless gekommen, als ein General im Ruhestand, den die Sinnlosigkeit der Gewaltanwendung desillusioniert hatte, da er hatte mitansehen müssen, wie die ihm unterstellten Männer und Frauen starben, ohne dass sich an den Verhältnissen etwas änderte. Aber Geary hatte mit der Zeit erkennen müssen, dass Charban kein Dummkopf war, sondern ein abgekämpfter Mann, der zwar zu oft den Tod gesehen hatte, aber immer noch scharfsinnig genug war, um Dinge zu bemerken, die anderen nicht auffielen.
Nach
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