Die Verschwörung des Bösen
herrscht. Er gleicht einem Baum, der friedlich in einem Garten wächst, grün wird und schöne, köstlich schmeckende Früchte schenkt. Sein Schatten tut gut, und der Baum verbringt das Ende seiner Tage im Himmel. Der Weise entschlüsselt den Sinn der alten Schriften, entwirrt die schwierigen Stellen, bereichert sein Herz damit, übertrifft, was er am Vortag geleistet hat und wahrt Bescheidenheit im Handeln. Wer auf dieser Erde die Wege zur Umwandlung in Licht kennt, wird eines Tages in jeder beliebigen Gestalt zurückkehren und seinen angemessenen Platz finden.«
Ein großes Glücksgefühl überkam Iker, während er schrieb. Er erinnerte sich an die Worte von General Sepi, seinem Lehrer, über die besonderen Fähigkeiten, die ein Schreiber beweisen musste, der sich vom reinen Abschreiben lösen und in die Sphären der Schöpfung gelangen wollte:
»Aufmerksamkeit, Urteilskraft und Selbstbeherrschung.« An diesem magischen Morgen erhielt er vom Pharao persönlich Unterricht, der ihn weiter formen sollte.
»Das Ziel des Weisen ist es«, fuhr Sesostris fort, »die Fülle zu erreichen, die die Hieroglyphen mit dem Zeichen für Opfertisch, also hotep, dem Synonym für Sonnenuntergang, darstellen, diesem unsäglichen Augenblick, in dem ein Werk vor dem Aufbruch zu einer neuen Reise vollendet wird. Leider sind wir weit entfernt von dieser Heiterkeit, Iker, und müssen die Ruhe dieser ewigen Wohnstätte verlassen, um uns einer beängstigenden Wirklichkeit zu stellen.«
Während er seine Schreibgeräte zusammenpackte, dachte Iker daran, was ihm der Kapitän von Gefährte des Windes vorausgesagt hatte: »Dein Schicksal ist es, eine Opfergabe zu werden.« Der Geisel war es zwar gelungen, dem Meeresgott zu entkommen, aber drohten ihm jetzt nicht noch viel härtere Prüfungen?
Der Pharao und der Schreiber gingen ein paar Schritte in die Wüste.
»Ägypten schwebt in Lebensgefahr«, sagte Sesostris. »Sein spiritueller Auftrag droht verloren zu gehen, wenn die Mysterien des Osiris nicht mehr gefeiert werden. Jemand hat den Baum des Lebens verflucht, die Akazie von Abydos. Durch unser Eingreifen konnten wir zwar den Verfall aufhalten, und zwei seiner Äste wurden sogar wieder grün. Aber dieser unzureichende und mäßige Erfolg kann nicht von Dauer sein. Uns ist bewusst, dass wir das heilende Gold finden müssen. Nur dieses Gold kann die Akazie retten. Deshalb habe ich General Sepi losgeschickt, es zu suchen.«
»Meinen Lehrer?«
»Ja, ein großer Schreiber wird nur, wer sich auch als Mann der Tat erweist. Trotz all unserer Bemühungen konnten wir noch nicht herausfinden, wer der Verbrecher ist, der Seths Kräfte gegen den Baum des Osiris einsetzt. Dieser Dämon der Finsternis ist offenbar entschlossen, Ägypten zu vernichten, und scheint ein ebenso ernst zu nehmender wie schlagkräftiger Gegner zu sein.«
»Könnte er vielleicht Binas Herr oder aber derjenige sein, der gestern Nacht zwei Mörder geschickt hat, die Euch töten sollten?«
»Das sind sehr gute Fragen, denen gewissenhaft
nachgegangen werden muss. Weitere ernste Zwischenfälle wie die Ermordung eines Einwanderungsbeamten und die Unruhen in Kanaan sind vermutlich genauso diesem Dämon
zuzuschreiben. Hast du schon einmal vom Propheten gehört?«
»Nein, Majestät.«
»Dieser Volksverhetzer hat die Stadt Sichern zum Aufstand angezettelt, ehe er von ihren Bewohnern niedergemetzelt wurde, und der Unruheherd ist noch längst nicht gelöscht. Mit Hilfe unserer neuen Truppen ist General Nesmontu zwar in der Lage, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, aber ich fürchte die aufrührerischen Unternehmungen kleiner, gut ausgebildeter und schwer auszumachender Gruppen. Wir dachten lange, einer der Provinzfürsten wäre der Herr der Finsternis; inzwischen verdächtigen wir die Kanaaniter oder die Sandläufer, wobei Letztere aber eigentlich nichts anderes im Sinn haben, als Karawanen auszurauben. Trotzdem müssen wir versuchen, ihr schädliches Treiben einzudämmen und herauszufinden, ob es unter ihnen einen oder mehrere Anführer gibt, denen es gelungen sein könnte, Seths Feuer umzulenken.«
Iker wartete darauf, dass man ihm einen bestimmten und mit Sicherheit gefährlichen Auftrag erteilte.
Sesostris’ Entscheidung traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
»Ich ernenne dich zum königlichen Schreiber, der ausschließlich im Dienste des Pharaos steht. Mit dieser Ehrenbenennung bist du am Hofe zugelassen.«
Memphis brodelte nur so vor Gerüchten, die ebenso
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