Maerchenhochzeit in Granada
1. KAPITEL
Obwohl erst der erste Dezember war, sah es bereits nach Schnee aus. Die bunte Weihnachtsdekoration im Londoner Westend bildete einen reizvollen Kontrast zum dunklen Himmel.
Die beiden jungen Frauen, die die festlich geschmückte Straße entlangeilten, achteten allerdings nicht auf ihre Umgebung.
„Sei doch vernünftig, Catalina", bat Maggie zum dritten Mal.
„Vernünftig!" wiederholte Catalina scharf. „Ich soll einen Abend damit verbringen, Männer in Nachthemden und Röcken zu betrachten?"
„Julius Caesar ist ein tolles Theaterstück. Ein echter Klassiker."
Catalina schnaufte verächtlich. Sie war Spanierin, achtzehn und sah atemberaubend aus, wenn sie wütend war.
„Es ist von Shakespeare", beharrte Maggie. „Und dein Verlobter möchte, dass du es dir ansiehst."
Catalina sagte etwas wenig Schmeichelhaftes über ihren Verlobten.
„Pst, sei vorsichtig!" Schnell blickte Maggie sich um, als könnte Don Sebastian de Santiago unvermittelt auftauchen.
„Ich bin in London, und er ist in Spanien. Bald werde ich seine Gefangene sein und ihm nach dem Mund reden müssen. Aber bis dahin tue ich, was ich will, und sage, was ich will. Und ich sage, dass ich keine Männer mit hässlichen Knien in Röcken mag."
„Wahrscheinlich haben sie nicht alle hässliche Knie", versuchte Maggie die Stimmung etwas aufzuheitern.
Catalina überschüttete sie mit einem Wortschwall auf Spanisch, und schnell umfasste Maggie ihren Arm und führte sie weiter. „Es gehört eigentlich zu deiner englischen Erziehung."
„Ich bin Spanierin, er ist Spanier. Wozu ich brauche eine englische Erziehung?"
„Wozu brauche ich ..." verbesserte Maggie sie automatisch.
„Wozu brauche ich eine englische Erziehung?" wiederholte Catalina verzweifelt.
„Aus demselben Grund, aus dem du eine französische Erzie hung gebraucht hast - um eine kultivierte Frau zu werden und als Gastgeberin bei seinen Dinnerpartys fungieren zu können."
Bevor ihr rebellischer Schützling etwas erwidern konnte, führte Maggie sie in eine Teestube und suchte einen Tisch. „Setz dich!" ordnete sie an. Catalina war reizend, aber auch sehr anstrengend. Bald würde sie sie nach Spanien schicken und sich einen Nervenzusammenbruch gönnen.
Seit drei Monaten gab sie Catalina Englischunterricht und passte zusammen mit ihrer spanischen Anstandsdame Isabella, einer älteren Lady, auf sie auf. Die beiden residierten in einem Londoner Luxushotel, und zwar auf Kosten Don Sebastians, der außerdem sie, Maggie, bezahlte und die Programmhöhepunkte bestimmt hatte.
Er hatte alles von Spanien aus arrangiert, denn er hatte seine Verlobte seit sechs Monaten nicht mehr gesehen, und das auch nur während eines Kurzbesuchs in Paris, bei dem er hauptsächlich ihre französischen Sprachkenntnisse überprüft hatte.
Das tägliche Programm legte Donna Isabella fest. Sie enga gierte die Lehrer vor Ort, stand mit ihrem Arbeitgeber in Verbindung und teilte seine Wünsche seiner zukünftigen Braut mit.
Momentan war er in den USA. Er sollte in der folgenden Woche in London eintreffen, und anschließend würde Catalina ihn nach Spanien begleiten, um sich auf die Hochzeit vorzubereiten.
Vielleicht hätte er auch gar keine Zeit, so dass Catalina allein nach Spanien fliegen musste. Dass er ein feuriger Liebhaber ist, kann man ihm jedenfalls nicht vorwerfen, dachte Maggie.
Sie konnte nicht nachvollziehen, warum er ausgerechnet Catalina heiraten wollte. Catalina war oberflächlich und hatte nur Klamotten, Popmus ik und junge Männer im Kopf. Sie war bestimmt keine geeignete Ehefrau für einen ernsten Mann, der Mit glied im andalusischen Parlament war.
Ihre Bemühungen, Fremdsprachen zu lernen, waren ausgesprochen halbherzig. Da sie so viele amerikanische Sender sah, war ihr Englisch ganz passabel, ihr Französisch und ihr Deutsch hingegen waren katastrophal.
Trotzdem mochte Maggie sie gern. Sosehr Catalina sie manchmal zur Verzweiflung brachte, sie war nett, warmherzig, und man konnte viel Spaß mit ihr haben. Sie brauc hte einen jungen Ehemann, den ihre Schönheit und ihr Temperament faszinierten und der sich nicht an ihrer eher durchschnittlichen Intelligenz störte.
„Also gut", sagte Maggie, während sie Tee tranken und Kuchen aßen, „was möchtest du heute Abend machen?"
„Sterben!" verkündete Catalina leidenschaftlich.
„Davon mal abgesehen", konterte Maggie.
„Was spielt das für eine Rolle? Ich ein paar Wochen ist mein Leben sowieso zu Ende. Ich werde eine alte,
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