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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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    –Alles wird anders, verkündete Dave, als der Umzugswagen klappernd davonfuhr, und hob Sara auf seine Schultern, was er schon lange nicht mehr getan hatte, und er galoppierte los, die Straße entlang bis hinunter zur Kirche, vor der ein Pfarrer stand, der ihnen freundlich winkte. Die Bäume begannen eben, sich zu verfärben, –nur ein bißchen, siehst du? sagte Dave, weil jetzt erst September ist, er blieb unter einer Platane stehen, damit Sara sich ein Blatt abreißen konnte. –Wie groß das ist, staunte Sara, und Dave setzte sie ab, hielt es vorsichtig vor ihr Gesicht. –Größer als dein Gesicht, verkündete er ernst. –Warum sind wir hier? fragte sie noch einmal, und Dave erklärte es ihr geduldig. –Du bist jetzt hier zu Hause, schloß er. Sara dachte nach. –Aber gestern noch nicht, sagte sie unsicher, –nein, stimmte ihr Dave zu, gestern noch nicht, gestern sind wir erst hergezogen. –Und wenn Tante Martha noch leben würde, sagte Sara, dann auch nicht. –Wenn Tante Martha lebte, dann würden wir noch in Clapham wohnen, bestätigte Dave, aber er hatte genug. –Steig auf, sagte er und ging in die Knie. Sie hob das Bein über seinen Kopf, hielt sich an seinen Haaren. –Nicht an den Haaren! rief Dave, und los ging es, die Straße hinunter, die Straße herauf, –kannst du dir das merken? fragte Dave, Lady Margaret Road Nummer 47. Sara wiederholte es gehorsam. –Du mußt das wissen, falls du verlorengehst, schärfte Dave ihr ein, jetzt, sagte er feierlich, da du in die Vorschule kommst, –da ich in die Vorschule komme, wiederholte Sara und galoppierte auf ihr neues Zuhause zu.
    Die viktorianischen Häuser reihten sich eines an das andere, unterschieden sich nur in Details der Fassaden, manche der Häuser hatten eine Wohnung im Souterrain, andere nicht. Wo es keine garden flat gab, gehörte der Garten – ein schmaler Streifen, von einer Ziegelmauer umgeben – zur Erdgeschoßwohnung, von der Straße führte ein kleiner Eingang zum Keller, in dem früher Kohlen gelagert wurden und wo jetzt ausgediente Möbel, Matratzen, kaputte Fernseher standen. Da war auch ein Kinderbett, Saras Vater schleppte es hoch und fluchte, –aber du solltest froh sein, sagte ihre Mutter enttäuscht zu ihm, und dann stritten sie über die Decke, die auf dem Sofa lag, eine Decke mit Schlingpflanzenmuster und einem riesigen Tiger dazwischen. Das Sofa stand im Erker, von draußen sah man den Tiger zwischen all dem Grün hervorleuchten.
    –Da ist Polly! rief Sara, als sie auf Daves Schultern auf den Eingang zuritt. Die schwarz-weiße Katze sprang auf die Sofalehne und streckte sich aus, ihre Pfoten berührten den Tigerkopf. –Da ist Polly, wiederholte Dave und lauschte auf die erregte Stimme seines Vaters, und als sie klingelten, öffnete Mum und schaute mit starrem Blick an ihnen vorbei.
    –Du wirst sehen, sagte Dave abends, auf ihrem Bettrand sitzend, er streichelte ihr Haar, –das ist etwas ganz anderes als Clapham. –Weil die Häuser anders sind? fragte Sara. –Weil die Häuser anders sind und die Leute auch, sagte er, Dad wird eine Arbeit finden, und hast du gesehen, wie Mum gelächelt hat? Sara schwieg zweifelnd. –Du wirst in die Schule gehen, sagte Dave, ganz bestimmt, er stand auf und legte sich in sein Bett. –Dave? fragte Sara, aber er war schon eingeschlafen.
    Der nächste Tag war ein Montag, sie wachte von den Stimmen im Flur auf, und dann schlug die Tür zu. Keiner kam, um sie zu wecken, dann ging wieder die Tür zu, und es war still. Sie stand auf, lief zum Fenster, wo ein kleiner Bus hielt, der Fahrer klappte eine Trittleiter aus und wartete, bis aus dem Haus gegenüber eine alte Frau kam und in den Bus kletterte, während der Mann rauchte, dann klappte er die Trittleiter wieder hoch, stieg vorne ein und fuhr davon. Dave war weg und ihre Eltern auch, aber Polly kam und schmiegte sich an Saras Beine. Im Wohnzimmer standen noch Kisten, ihr Spielzeug war auch in einer Kiste, und der Tag verging und verging nicht, bis endlich am Nachmittag, in einer neuen Schuluniform, Dave kam. Er roch es sofort und fand die Stelle, wo sie hinter dem Sofa gehockt und in die Hosen gemacht hatte, es war nur ein kleiner Fleck, und er boxte sie, –was kriege ich, wenn ich es nicht sage? Dann half er ihr, die Sachen auszuwaschen, er sah traurig aus. –Wir hängen sie vors Fenster, sagte er, Mum merkt es gar nicht. Er suchte für sie die Puppe, sie war in einer Kiste im Wohnzimmer, und während er Sachen auspackte,

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