Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
seine Worte ohne inneren Rückhalt seien und gar nicht seine wirkliche Meinung ...
Er sagte: »Basini ist ein Dieb.« Und der bestimmte, harte Klang dieses Wortes tat ihm so wohl, daß er zweimal wiederholte. »... ein Dieb. Und einen solchen bestraft man – überall, in der ganzen Welt. Er muß angezeigt, aus dem Institute entfernt werden! Mag er sich draußen bessern, zu uns paßt er nicht mehr!«
Aber Reiting sagte mit einem Ausdrucke unangenehmen Betroffenseins: »Nein, wozu es gleich zum Äußersten treiben?«
»Wozu? Ja, findest du denn das nicht selbstverständlich?«
»Durchaus nicht. Du machst ja gerade so, als ob der Schwefelregen schon vor der Tür stünde, um uns alle zu vernichten, wenn wir Basini noch länger unter uns behielten. Dabei ist die Sache doch nicht gar so fürchterlich.«
»Wie kannst du das sagen! Du willst also mit einem Menschen, der gestohlen hat, der sich dir dann zur Magd, zum Sklaven angeboten hat, tagtäglich weiter zusammen sitzen, zusammen essen, zusammen schlafen?! Ich verstehe das gar nicht. Wir werden doch gemeinsam erzogen, weil wir gemeinsam zur selben Gesellschaft gehören. Wird es dir gleich sein, wenn du seinerzeit vielleicht im selben Regiment mit ihm stehst oder im selben Ministerium arbeitest, wenn er in denselben Familien verkehrt wie du, – vielleicht deiner eigenen Schwester den Hof macht ...?«
»Nun seh einer, ob du nicht übertreibst?!« lachte Reiting, »du tust, als ob wir einer Brüderschaft fürs Leben angehörten! Glaubstdu denn, daß wir immer ein Siegel an ans herumtragen werden: Stammt aus dem Konvikte zu W. Ist mit besonderen Vorrechten und Verpflichtungen behaftet? Später geht ja doch jeder von uns seinen eigenen Weg, und jeder wird das, wozu er berechtigt ist, denn es gibt nicht nur eine Gesellschaft. Ich meine daher, wir brauchen uns nicht über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen. Und was das Gegenwärtige betrifft, habe ich ja nicht gesagt, daß wir mit Basini Kameradschaft halten sollen. Es wird sich schon irgendwie so finden lassen, daß die Distanz gewahrt bleibt, Basini ist in unserer Hand, wir können mit ihm machen, was wir wollen, meinetwegen kannst du ihn zweimal täglich anspucken: wo bleibt da, solange er es sich gefallen läßt, die Gemeinsamkeit? Und lehnt er sich auf, können wir ihm immer noch den Herrn zeigen ... Du mußt nur die Idee fallen lassen, daß zwischen uns und Basini irgendeine andere Zusammengehörigkeit bestehe, als die, daß uns seine Gemeinheit Vergnügen bereitet!«
Obgleich Törleß gar nicht von seiner Sache überzeugt war, ereiferte er sich weiter: »Höre, Reiting, warum nimmst du dich Basinis so warm an?«
»Nehme ich mich seiner an? Das weiß ich gar nicht. Überhaupt habe ich gewiß keinen besonderen Grund; mir ist die ganze Geschichte grenzenlos gleichgültig. Mich ärgert ja nur, daß du übertreibst. Was steckt dir im Kopfe? So eine Art Idealismus, meine ich. Heilige Begeisterung für das Institut oder für die Gerechtigkeit. Du hast keine Ahnung, wie fad und musterhaft das klingt. Oder hast du am Ende«, und Reiting blinzelte verdächtigend zu Törleß hinüber, »irgendeinen anderen Grund, weswegen Basini hinausfliegen soll, und willst bloß nicht Farbe bekennen? Irgendeine alte Rache? Dann sag es doch! Denn, wenn es dafür steht, können wir ja wirklich die günstige Gelegenheit benützen.«
Törleß wandte sich an Beineberg. Aber dieser grinste nur. Er sog zwischen dem Sprechen an einem langen Tschibuk, saß mit orientalisch gekreuzten Beinen und sah mit seinen abstehenden Ohren in der zweifelhaften Beleuchtung wie ein groteskes Götzenbild aus. »Meinetwegen könnt ihr machen, was ihr wollt; mir ist es nicht um das Geld zu tun und um die Gerechtigkeit auch nicht. In Indien würde man ihm einen gespitzten Bambus durch den Darm treiben; das wäre wenigstens ein Vergnügen. Er ist dumm und feig, da ist es weiter nicht schade um ihn, und es war mir wirklich Zeit meines Lebens höchst egal, was mit solchen Leuten geschieht. Sie selbst sind nichts, und was aus ihrer Seele noch werden mag, wissen wir nicht. Allah schenke eurem Urteil seine Gnade!«
Törleß erwiderte nichts. Nachdem ihm Reiting widersprochenund Beineberg die Entscheidung zwischen ihnen unbeeinflußt gelassen hatte, war er am Ende. Er vermochte keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen; er fühlte, daß er gar kein Verlangen mehr habe, das Ungewisse, Kommende aufzuhalten.
Also wurde ein Vorschlag angenommen, den Reiting nun machte. Es
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