Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
hatte sich im stillen das Arbeitszimmer eines Mathematikers ganz anders vorgestellt; mit irgendwelchem Ausdrucke für die fürchterlichen Dinge, die darin gedacht wurden. Das Gewöhnliche verletzte ihn; er übertrug es auf die Mathematik, und sein Respekt begann einem mißtrauischen Widerstreben zu weichen.
Da nun auch der Professor ungeduldig auf seinem Platze hin und her rückte und nicht wußte, wie er das lange Schweigen und die musternden Blicke deuten solle, lag zwischen den beiden Menschen schon in diesem Augenblicke die Atmosphäre eines Mißverständnisses.
»Nun wollen wir ... wollen Sie ... ich bin gerne bereit, Ihnen Auskunft zu erteilen«, begann der Professor.
Törleß trug seine Einwendungen vor und bemühte sich, deren Bedeutung für ihn auseinanderzusetzen. Aber ihm war, als müßte er durch einen dicken, trüben Nebel hindurch sprechen und seine besten Worte erstickten schon in der Kehle.
Der Professor lächelte, hüstelte einstweilen, sagte: »Sie gestatten« und zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie in hastigen Zügen; das Papier – was Törleß alles zwischendurch bemerkte und gewöhnlich fand – lief fett an und bog sich jedesmal knisternd ein; der Professor nahm den Klemmer von der Nase, setzte ihn wieder auf, nickte mit dem Kopfe, ... schließlich ließ er Törleß gar nicht zu Ende kommen. »Es freut mich, ja mein lieber Törleß, es freut mich wirklich sehr,« unterbrach er ihn, »Ihre Bedenken zeugen von Ernst, von eigenem Nachdenken, von ... hm ..., aber es ist gar nicht so leicht, Ihnen die gewünschte Aufklärung zu geben, ... Sie dürfen mich da nicht mißverstehen.
Sehen Sie, Sie sprachen von dem Eingreifen transzendenter, hm ja ... transzendent nennt man das, – Faktoren ...
Nun weiß ich ja allerdings nicht, wie Sie hierüber fühlen; mit demÜbersinnlichen, jenseits der strengen Grenzen des Verstandes Liegenden, ist es eine ganz eigene Sache. Ich bin eigentlich nicht recht befugt, da einzugreifen, es gehört nicht zu meinem Gegenstande; man kann so und so darüber denken, und ich möchte durchaus vermeiden, gegen irgend jemanden zu polemisieren ... Was aber die Mathematik anlangt,« und hiebei betonte er das Wort Mathematik, als ob er eine verhängnisvolle Tür ein für allemal zuschlagen wollte, »was also die Mathematik anlangt, ist es ganz gewiß, daß hier auch ein natürlicher und nur mathematischer Zusammenhang besteht.
Nur müßte ich – um streng wissenschaftlich zu sein – Voraussetzungen machen, die Sie kaum noch verstehen dürften, auch fehlt uns die Zeit dazu.
Wissen Sie, ich gebe ja gerne zu, daß zum Beispiel diese imaginären, diese gar nicht wirklich existierenden Zahlwerte, ha ha, gar keine kleine Nuß für einen jungen Studenten sind. Sie müssen sich damit zufrieden geben, daß solche mathematische Begriffe eben rein mathematische Denknotwendigkeiten sind. Überlegen Sie nur: auf der elementaren Stufe des Unterrichts, auf der Sie sich noch befinden, hält es sehr schwer, für vieles, das man berühren muß, die richtige Erklärung zu geben. Zum Glück fühlen es die wenigsten, wenn aber einer, wie Sie heute, – doch wie gesagt, es hat mich sehr gefreut, – nun wirklich kommt, so kann man nur sagen: Lieber Freund, du mußt einfach glauben; wenn du einmal zehnmal soviel Mathematik können wirst als jetzt, so wirst du verstehen, aber einstweilen: glauben!
Es geht nicht anders, lieber Törleß, die Mathematik ist eine ganze Welt für sich, und man muß reichlich lange in ihr gelebt haben, um alles zu fühlen, was in ihr notwendig ist.«
Törleß war froh, als der Professor schwieg. Seit er die Tür zufallen gehört hatte, war ihm, daß sich die Worte immer weiter und weiter entfernten, ... nach der anderen, gleichgültigen Seite hin, wo alle richtigen und doch nichts besagenden Erklärungen liegen.
Aber er war von dem Schwall der Worte und dem Mißlingen betäubt und verstand nicht gleich, daß er nun aufstehen solle.
Da suchte der Professor, um es endgültig zu erledigen, nach einem letzten, überzeugenden Argumente.
Auf einem kleinen Tischchen lag ein Renommierband Kant. Den nahm der Professor und zeigte ihn Törleß. »Sehen Sie dieses Buch, das ist Philosophie, es enthält die Bestimmungsstücke unseres Handelns. Und wenn Sie dem auf den Grund fühlen könnten, so würden Sie auf lauter solche Denknotwendigkeiten stoßen, die eben alles bestimmen, ohne daß sie selbst so ohne weiteres einzusehen wären.Es ist ganz ähnlich wie mit dem in
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