Die Visionen von Tarot
längsten Text ordneten, aber es dient seinem Zweck.“
„Der Aufbau der Bibel ist ein wenig besser“, meinte Jesus. „Die Berichte über mein Leben und Wirken wurden etwa ein Jahrhundert nach meiner Zeit aufgeschrieben, meinen Jüngern zugeschrieben und Evangelium genannt. Aber ich weiß nun, daß es nur eine kleine Rolle spielt, denn die Leute, die sich Christen nennen, achten nicht auf die Teile, die einzeln aufgezeichnet wurden. Sie lieben ihren Nächsten nicht.“ Er zog eine Grimasse. „Und so wurdest du ein Wundertäter, ein Sohn Gottes? Hat man dich auch gekreuzigt?“
„Ich hatte niemals die Kraft, Wunder zu tun, und war auch nicht der Sohn Gottes – und ich verachte auch die Christen, weil sie dich als Gottessohn verehren.“
„Aber …“
„Ich habe nicht behauptet, du seist nicht der Sohn Gottes. Du warst und bist …“
„Wir alle sind …“ warf Bruder Paul ein.
„Aber Gott hat den Menschen die Verehrung befohlen, Ihn zu verehren, und sonst niemanden außer Ihn. Als man begann, dich und alle Heiligen zu verehren, wurde die Religion pervertiert. Und weil sie in die Irre gingen, kam der Engel Gabriel zu mir, damit ich die wahre Religion, wie sie Abraham predigt, zurückbrächte, nämlich die absolute Unterwerfung unter Seinen Willen.“
„Ja“, meinte Jesus, leicht irritiert. „Aber …“
„Aber die Christen haben mich in ihre Hölle geworfen“, beendete Mohammed den Satz mit grimmigem Lächeln. „Weil die wahren Ketzer nicht die sind, die sich vom Hauptkörper der Kirche gelöst haben, um Gott besser dienen zu können. Die wahren Ketzer leiten die christliche Kirche – und die jüdische. Und …“
„Und die moslemische Kirche?“ fragte Jesus sanft.
„Und die moslemische Kirche“, stimmte Mohammed zu. „Glauben sie etwa, ich sehe nicht ihren Haß, ihr Alkoholtrinken, ihre Sünden? Und die Häretiker aller Kirchen verdammen alle diejenigen zur Hölle, die ihre Unrechtmäßigkeiten bloßzulegen versuchen. Gott ist gnädig – die Anführer dieser Kirchen sind es nicht.“
„Und so wurdest du getötet?“
„Nein, ich starb eines natürlichen Todes, als man mich nicht mehr brauchte.“
Jesus traf eine Entscheidung. „Prophet, mir gefällt deine Haltung. Dein Glaube stimmt nicht in jeder Hinsicht mit meinem überein, aber ich glaube, du bist berufen, den Streit zwischen mir und Bruder Paul zu schlichten.“
„Das werde ich gerne versuchen“, sagte Mohammed. „Solange es nicht um körperlichen Einsatz geht. Unsere Wunden verheilen erst zur Nacht wieder – und jeden Morgen müssen wir aufs neue an diesem Dämon vorbei. Im Augenblick kann ich nur sprechen.“
Sie wandten sich zu Bruder Paul. Nun, warum nicht? Wenn dies ein möglicher Weg war, seinen Freund von diesem unmöglichen Ort zu befreien … „Es ist so“, begann Bruder Paul. „Ich stamme von verschiedenen Rassen ab. Ich habe etwas nubisches Blut. Er meint, das verdamme mich, und aus Gründen der Freundschaft erträgt er meine Strafe. Meiner Meinung nach gibt es aber keine erbliche Schuld, außer vielleicht bei der Erbsünde, die alle Menschen zugleich befleckt. Ist schwarzes Blut denn wirklich eine Sünde?“
„Es gibt keine erbliche Schuld“, sagte Mohammed. „Jede Person, die rechten Glaubens ist und danach handelt, ist im Hause Allahs, des Mitleidigen, des Gnädigen, willkommen. Ich bedauere, daß viele, die vorgeben, meiner Prophezeiung zu folgen, dies nicht zu glauben scheinen, aber dem ist so.“ Er wandte sich zu Jesus und machte eine Handbewegung auf Bruder Paul hin. „Ist dies ein solcher Mensch? Einer, der Gott in seinem Herzen wie auch mit den Lippen ehrt?“
„Ja“, sagte Jesus. „Aber …“
„Ich suche Gott“, sagte Bruder Paul. „Ich nehme nicht für mich in Anspruch, ihn gefunden zu haben oder seiner wert zu sein …“
„Aber wenn er irgendwie einen Makel aufweist“, fuhr Mohammed fort, „würde ich ihn weder in die Hölle schicken noch an seiner Stelle dorthin gehen. Ich würde ihm vergeben.“
„Ihm vergeben …“ sagte Jesus, als sei dies eine ungeheure Enthüllung. „Wie Gott den Menschen vergab …“
„Daher“, warf Bruder Paul rasch ein, „besteht für dich keine Notwendigkeit mehr weiterzuleiden, wenn dies geschehen ist. Laß uns von hier verschwinden.“
Fast stimmte Jesus zu. Aber dann wich er zurück. „Dir ist vergeben. Aber wer vergibt mir?“
„Dir? Du bist doch ohne Makel!“
„Jesus ist ohne Makel, abgesehen vielleicht von der Sache mit dem
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