Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
verstanden.«
    »Aber Sie kennen und verstehen ihn.«
    »Ja. Ich habe schließlich viel Zeit mit ihm verbracht, Anne. Sehr viel Zeit.«
    Anne sah Anselmo an. Vor ihr saß ein junger gut aussehender Mann Mitte zwanzig, schlank und durchtrainiert. Auf der Kinoleinwand hätte er bestimmt eine ebenso gute Figur gemacht wie hier vor ihrem Küchentresen. Und doch waren seine braunen Augen alt. Alt und voller Melancholie. Eine Weile saßen Sie schweigend einander gegenüber, und Anne fühlte sich schuldig, ohne zu wissen, weshalb.
    »Es … es tut mir Leid«, sagte er und drehte seine Tasse verlegen in den Händen.
    »Was tut Ihnen Leid?«
    »Das mit dem Überfall auf Sie. Damals in der Gasse.« Er deutete auf ihren Brustkorb, und unwillkürlich tastete Anne nach der Narbe. Er senkte den Blick. »Ich bin Ihnen gefolgt. Cosimo hatte mir gesagt, dass ich auf Sie aufpassen sollte. Aber an diesem Abend … Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe am Eingang der Gasse einen Augenblick lang gewartet, weil ich Angst hatte, dass Sie mich sonst sehen würden. Und dieser Moment …« Er biss sich auf die Lippe. »Ich war nicht schnell genug bei Ihnen. Wenigstens habe ich den Kerl so abgelenkt , dass er sein abscheuliches Werk nicht vollenden konnte.« Er sah sie an. »Ich weiß, dass es Ihnen eigentlich unmöglich sein muss, aber trotzdem möchte ich Sie bitten, mir zu verzeihen.«
    Anne erwiderte seinen Blick. Dann lächelte sie. » Natürlich «, sagte sie. »Denn ich muss Sie auch um Verzeihung bitten . Ich habe Ihr Gesicht erkannt, als Sie sich nach dem Anschlag über mich beugten, und ich habe Sie für den Täter gehalten .« Sie zuckte mit den Schultern. »Als ich die Wahrheit endlich begriffen hatte, war es zu spät.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Anselmo.
    Und eine Weile saßen sie in einträchtigem Schweigen einander gegenüber und tranken ihren Tee.
    »Ich soll Ihnen Ihre Reiseunterlagen geben«, meinte Anselmo schließlich und holte aus der Innentasche seines Sakkos eine schmale Mappe aus schwarzem Leder hervor. »Hier finden Sie alles, was Sie brauchen. Flugtickets, Ihr Visum, Adressen , einen Stadtplan von Jerusalem …«
    Anne klappte die Mappe auf und entnahm die Flugtickets.
    »Hamburg–Frankfurt, dann weiter mit Air Israel nach Jerusalem .« Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf. »Aber das kann doch nicht wahr sein! Mein Flug geht ja schon um elf Uhr fünfzig!«
    »Ich sagte Ihnen doch, dass der Zeitplan sehr eng ist«, entgegnete Anselmo mit einem Lächeln. Es machte fast den Eindruck, als ob es ihm Spaß bereiten würde, sie ein wenig zu ärgern.
    »Aber wie um alles in der Welt soll ich das denn schaffen? Ich muss mich anziehen, meine Koffer packen …«
    »Sie werden nicht viel Gepäck brauchen, Anne«, unterbrach Anselmo sie. »Ein Handkoffer und Wäsche für zwei Tage werden genügen. Bereits Samstag früh um halb zehn werden Sie Jerusalem wieder verlassen. Aber die Details entnehmen Sie den schriftlichen Instruktionen, die Cosimo Ihnen beigelegt hat.« Er deutete auf einen versiegelten Briefumschlag. »Öffnen Sie diesen Umschlag bitte erst, wenn Ihr Flugzeug am Frankfurter Flughafen mit Ziel Jerusalem gestartet ist.«
    »Aha.« Anne runzelte die Stirn und drehte den versiegelten Umschlag in ihrer Hand. »Und wofür soll das gut sein?«
    Anselmo zuckte mit den Schultern. »Darüber weiß ich genauso wenig wie Sie. Ich bin nur der Bote, der Ihnen die Nachricht meines Herrn und Meisters überbringen soll. Aber glauben Sie mir, Cosimo tut nichts ohne Grund.« Er trank wieder einen Schluck, dann stand er auf. »Sie sind in Eile, und ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Ihr Taxi wird Sie um zehn Uhr abholen.«
    »Cosimo scheint wirklich nichts dem Zufall überlassen zu wollen«, sagte Anne, während sie Anselmo zur Tür begleitete.
    Er lächelte. »Ja, er ist ein Perfektionist.«
    »Und das Elixier? Erhalte ich das erst in Jerusalem?«
    Anselmo schüttelte den Kopf und griff wieder in seine Innentasche. Er holte eine kleine Pipettenflasche hervor und drückte sie Anne in die Hand. Erstaunt las sie das Etikett.
    »Nasentropfen?«
    »Auf diese Weise können Sie es transportieren, ohne Verdacht zu erregen. Allerdings«, ein Lächeln huschte über sein hübsches Gesicht, »sollten Sie diese Flasche nicht mit echten Nasentropfen verwechseln. In zehntausend Metern Höhe könnten die Folgen einer Reise in die Vergangenheit überaus unangenehm sein.«
    Anne hielt die Flasche gegen das Licht. In dem braunen Glas

Weitere Kostenlose Bücher