Die Wälder von Albion
jungen Mann, der meines Wissens bisher weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes getan hat, etwas zustößt, dann weißt du auch, daß man uns die Schuld daran geben wird.«
Er lachte spöttisch. »Man gibt uns für alles die Schuld, auch für den Fall von Troja, und natürlich dafür, daß die Legionen hier sind und nicht in Gallien, wohin sie gehören. Es gibt die alten Schauergeschichten, die der Göttliche Julius verbreitet hat - möge seine Seele in Frieden ruhen -«, fügte Ardanos mit einem so grimmigen Lächeln hinzu, daß sein Wunsch genau das Gegenteil zum Ausdruck brachte.
»Wie auch immer, es liegt Aufruhr in der Luft«, sagte er dann wieder besorgt. »Du in deiner Position siehst es nicht. Ich lebe schon so lange unter Römern, und deshalb sehe auch ich nicht alles. Aber es ist meine Aufgabe, die Zeichen und Omen zu deuten. Zum Beispiel… . wenn die Raben um Mitternacht fliegen. Ich spreche von dem Geheimbund der Männer, die die Göttin der Schlachten verehren.«
Lhiannon mußte lachen. »O Ardanos! Meinst du diese halb verrückten alten Männer, die Cathubodva opfern, die Zukunft deuten und in den Eingeweiden von Vögeln nach Omen suchen? Die sind ebenso lächerlich wie die Legionäre mit ihren heiligen Hühnern. Noch nie hat ihnen jemand die geringste Beachtung geschenkt.«
»Das war früher einmal so«, sagte Ardanos und freute sich, weil er Lhiannon etwas sagen konnte, das sie offenbar noch nicht wußte. Er fand, sie hätte es eigentlich wissen müssen, denn dann wäre er mit dem Problem nicht allein gewesen.
»Noch vor drei Jahren war das so. Aber jetzt gibt es anstelle der alten Priester und Eingeweidebeschauer eine Gruppe junger Männer. Keiner von ihnen ist über einundzwanzig, und die meisten sind auf der heiligen Insel zur Welt gekommen. Sie halten sich für die wiedergeborene heilige Schar… «
»Wer weiß? Gemessen an den Umständen ihrer Geburt würde es mich nicht überraschen, wenn es so wäre.«
Sie runzelte die glatte Stirn und schien langsam zu verstehen, worauf Ardanos eigentlich hinauswollte.
»Richtig«, fuhr er fort, »ich habe es bisher nicht gewußt, aber einer dieser jungen Männer ist bei Bendeigid aufgewachsen und hatte - sagen wir - die besten Möglichkeiten, die politische Überzeugung seines Ziehvaters kennenzulernen und zu teilen.« Lhiannon preßte die Lippen zusammen.
»Darf ich fragen, wie das geschehen konnte?«
»Als ich davon erfuhr, schien es mir nicht weiter von Bedeutung zu sein. Das war, bevor Rheis, meine Tochter, Bendeigid geheiratet hat. Als ich den Jungen kennenlernte, mußte ich feststellen, daß ich wenig Einfluß auf ihn oder auf ihren Mann hatte. Bis mir klar wurde, wie viele Schwierigkeiten die beiden uns machen können, war es zu spät, um etwas zu unternehmen. Der Ziehsohn von Bendeigid heißt Cynric - ich habe vergessen, wer seine Mutter war. Vermutlich ist das heute nicht weiter wichtig, denn er hält sich für einen Sohn Bendeigids und ist bereit, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Wenn mir etwas zustoßen sollte… oder dir… «
Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht.
»Wer könnte sie aufhalten? Die Leute von hier bis in den Norden beteuern bereits, daß diese jungen Männer die wiedergeborenen Retter Albions sind… «
»Vielleicht sind sie das wirklich… «, sagte Lhiannon.
Ardanos brummte. »Das Schlimmste ist, sie sehen auch so aus.«
»Darf ich dich daran erinnern, daß ich dafür war, sie alle zu ertränken«, sagte Lhiannon und richtete sich auf. »So grausam das auch klingt, es hätte uns den Ärger erspart. Aber damals hatten gewisse Leute etwas anderes im Sinn… oder wollten, daß es zumindest so aussah, als sei ihre Entscheidung von Mitgefühl und göttlicher Vorsehung bestimmt. Deshalb sind diese jungen Männer am Leben, und es ist zwanzig Jahre zu spät, ihnen die Daseinsberechtigung streitig zu machen. Ich kann jetzt nicht einfach erklären, daß sie nicht das Recht zur Rache haben… «
»Deshalb mache ich mir Sorgen. Es ist meine Pflicht, mir darüber Gedanken zu machen, was vielleicht in zehn, zwanzig Jahren… ja, in hundert Jahren geschehen mag.«
Lhiannon erklärte mit ruhiger Selbstsicherheit: »Das kannst du mir überlassen. Das Wort der Göttin wird das Volk zusammenhalten… so wie es immer war.«
»Ja«, Ardanos wählte seine Worte mit Bedacht und gab sie der Priesterin wie einen Orakelspruch zu bedenken, »solange die Göttin auf der Seite des Friedens steht. Aber wer garantiert uns,
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