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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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Erwarten.
    Das Gemeinste, was geschah, hatte einen Zug von himmlischem Leben, und eine gottesdienstliche Handlung schien ganz jeder Natur angemessen.
    Nach einer solchen Region blicken wohl die meisten wie nach einem verschwundenen goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen Paradiese hin.
    Nur vielleicht Ottilie war in dem Fall, sich unter ihresgleichen zu fühlen.
    Wer hätte nun widerstehen können, als der Architekt sich erbot, nach dem Anlaß dieser Urbilder die Räume zwischen den Spitzbogen der Kapelle auszumalen und dadurch sein Andenken entschieden an einem Orte zu stiften, wo es ihm so gut gegangen war.
    Er erklärte sich hierüber mit einiger Wehmut; denn er konnte nach der Lage der Sache wohl einsehen, daß sein Aufenthalt in so vollkommener Gesellschaft nicht immer dauern könne, ja vielleicht bald abgebrochen werden müsse.
    Übrigens waren diese Tage zwar nicht reich an Begebenheiten, doch voller Anlässe zu ernsthafter Unterhaltung.
    Wir nehmen daher Gelegenheit, von demjenigen, was Ottilie sich daraus in ihren Heften angemerkt, einiges mitzuteilen, wozu wir keinen schicklichern Übergang finden als durch ein Gleichnis, das sich uns beim Betrachten ihrer liebenswürdigen Blätter aufdringt.
    Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine.
    Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt geht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören.
    Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet. Dadurch werden diese Bemerkungen, Betrachtungen, ausgezogenen Sinnsprüche und was sonst vorkommen mag, der Schreibenden ganz besonders eigen und für sie von Bedeutung.
    Selbst jede einzelne von uns ausgewählte und mitgeteilte Stelle gibt davon das entschiedenste Zeugnis.
    Neben denen dereinst zu ruhen, die man liebt, ist die angenehmste Vorstellung, welche der Mensch haben kann, wenn er einmal über das Leben hinausdenkt.
    ›Zu den Seinigen versammelt werden‹ ist ein so herzlicher Ausdruck.
    Es gibt mancherlei Denkmale und Merkzeichen, die uns Entfernte und Abgeschiedene näher bringen.
    Keins ist von der Bedeutung des Bildes.
    Die Unterhaltung mit einem geliebten Bilde, selbst wenn es unähnlich ist, hat was Reizendes, wie es manchmal etwas Reizendes hat, sich mit einem Freunde streiten.
    Man fühlt auf eine angenehme Weise, daß man zu zweien ist und doch nicht auseinander kann.
    Man unterhält sich manchmal mit einem gegenwärtigen Menschen als mit einem Bilde.
    Er braucht nicht zu sprechen, uns nicht anzusehen, sich nicht mit uns zu beschäftigen; wir sehen ihn, wir fühlen unser Verhältnis zu ihm, ja sogar unsere Verhältnisse zu ihm können wachsen, ohne daß er etwas dazu tut, ohne daß er etwas davon empfindet, daß er sich eben bloß zu uns wie ein Bild verhält.
    Man ist niemals mit einem Porträt zufrieden von Personen, die man kennt.
    Deswegen habe ich die Porträtmaler immer bedauert.
    Man verlangt so selten von den Leuten das Unmögliche, und gerade von diesen fordert mans.
    Sie sollen einem jeden sein Verhältnis zu den Personen, seine Neigung und Abneigung mit in ihr Bild aufnehmen; sie sollen nicht bloß darstellen, wie sie einen Menschen fassen, sondern wie jeder ihn fassen würde.
    Es nimmt mich nicht wunder, wenn solche Künstler nach und nach verstockt, gleichgültig und eigensinnig werden.
    Daraus möchte denn entstehen, was wollte, wenn man nur nicht gerade darüber die Abbildungen so mancher lieben und teuren Menschen entbehren müßte.
    Es ist wohl wahr, die Sammlung des Architekten von Waffen und alten Gerätschaften, die nebst dem Körper mit hohen Erdhügeln und Felsenstücken zugedeckt waren, bezeugt uns, wie unnütz die Vorsorge des Menschen sei für die Erhaltung seiner Persönlichkeit nach dem Tode.
    Und so widersprechend sind wir!
    Der Architekt gesteht, selbst solche Grabhügel der Vorfahren geöffnet zu haben, und fährt dennoch fort, sich mit Denkmälern für die Nachkommen zu beschäftigen.
    Warum soll man es aber so streng nehmen?
    Ist denn alles, was wir tun, für die Ewigkeit getan?
    Ziehen wir uns nicht morgens an, um uns abends wieder auszuziehen?
    Verreisen wir nicht, um wiederzukehren?
    Und warum sollten wir nicht wünschen, neben den Unsrigen zu ruhen, und wenn es auch nur für ein Jahrhundert wäre?
    Wenn man die vielen

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