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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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Hand nichts verlorenging, ja daß beide zuletzt ganz gleichstimmig arbeiteten.
    Genug, eins der letzten Gesichtchen glückte vollkommen, so daß es schien, als wenn Ottilie selbst aus den himmlischen Räumen heruntersähe.
    An dem Gewölbe war man fertig; die Wände hatte man sich vorgenommen einfach zu lassen und nur mit einer hellern bräunlichen Farbe zu überziehen; die zarten Säulen und künstlichen bildhauerischen Zieraten sollten sich durch eine dunklere auszeichnen.
    Aber wie in solchen Dingen immer eins zum andern führt, so wurden noch Blumen und Fruchtgehänge beschlossen, welche Himmel und Erde gleichsam zusammenknüpfen sollten.
    Hier war nun Ottilie ganz in ihrem Felde.
    Die Gärten lieferten die schönsten Muster, und obschon die Kränze sehr reich ausgestattet wurden, so kam man doch früher, als man gedacht hatte, damit zustande.
    Noch sah aber alles wüste und roh aus.
    Die Gerüste waren durcheinander geschoben, die Bretter übereinander geworfen, der ungleiche Fußboden durch mancherlei vergossene Farben noch mehr verunstaltet.
    Der Architekt erbat sich nunmehr, daß die Frauenzimmer ihm acht Tage Zeit lassen und bis dahin die Kapelle nicht betreten möchten.
    Endlich ersuchte er sie an einem schönen Abende, sich beiderseits dahin zu verfügen; doch wünschte er, sie nicht begleiten zu dürfen, und empfahl sich sogleich.
    »Was er uns auch für eine Überraschung zugedacht haben mag«, sagte Charlotte, als er weggegangen war, »so habe ich doch gegenwärtig keine Lust hinunterzugehen.
    Du nimmst es wohl allein über dich und gibst mir Nachricht.
    Gewiß hat er etwas Angenehmes zustande gebracht.
    Ich werde es erst in deiner Beschreibung und dann gern in der Wirklichkeit genießen«.
    Ottilie, die wohl wußte, daß Charlotte sich in manchen Stücken in acht nahm, alle Gemütsbewegungen vermied und besonders nicht überrascht sein wollte, begab sich sogleich allein auf den Weg und sah sich unwillkürlich nach dem Architekten um, der aber nirgends erschien und sich mochte verborgen haben.
    Sie trat in die Kirche, die sie offen fand.
    Diese war schon früher fertig, gereinigt und eingeweiht.
    Sie trat zur Türe der Kapelle, deren schwere, mit Erz beschlagene Last sich leicht vor ihr auftat und sie in einem bekannten Raume mit einem unerwarteten Anblick überraschte.
    Durch das einzige hohe Fenster fiel ein ernstes, buntes Licht herein; denn es war von farbigen Gläsern anmutig zusammengesetzt.
    Das Ganze erhielt dadurch einen fremden Ton und bereitete zu einer eigenen Stimmung.
    Die Schönheit des Gewölbes und der Wände ward durch die Zierde des Fußbodens erhöht, der aus besonders geformten, nach einem schönen Muster gelegten, durch eine gegossene Gipsfläche verbundenen Ziegelsteinen bestand.
    Diese sowohl als die farbigen Scheiben hatte der Architekt heimlich bereiten lassen und konnte nun in kurzer Zeit alles zusammenfügen. Auch für Ruheplätze war gesorgt.
    Es hatten sich unter jenen kirchlichen Altertümern einige schön geschnitzte Chorstühle vorgefunden, die nun gar schicklich an den Wänden angebracht umherstanden.
    Ottilie freute sich der bekannten, ihr als ein unbekanntes Ganze entgegentretenden Teile.
    Sie stand, ging hin und wider, sah und besah; endlich setzte sie sich auf einen der Stühle, und es schien ihr, indem sie auf- und umherblickte, als wenn sie wäre und nicht wäre, als wenn sie sich empfände und nicht empfände, als wenn dies alles vor ihr, sie vor sich selbst verschwinden sollte; und nur als die Sonne das bisher sehr lebhaft beschienene Fenster verließ, erwachte Ottilie vor sich selbst und eilte nach dem Schlosse.
    Sie verbarg sich nicht, in welche sonderbare Epoche diese Überraschung gefallen sei.
    Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.
    Diesen hatte sie freilich ganz anders zu feiern gehofft.
    Wie sollte nicht alles zu diesem Feste geschmückt sein!
    Aber nunmehr stand der ganze herbstliche Blumenreichtum ungepflückt.
    Diese Sonnenblumen wendeten noch immer ihr Angesicht gen Himmel, diese Astern sahen noch immer still bescheiden vor sich hin, und was allenfalls davon zu Kränzen gebunden war, hatte zum Muster gedient, einen Ort auszuschmücken, der, wenn er nicht bloß eine Künstlergrille bleiben, wenn er zu irgend etwas genutzt werden sollte, nur zu einer gemeinsamen Grabstätte geeignet schien.
    Sie mußte sich dabei der geräuschvollen Geschäftigkeit erinnern, mit welcher Eduard ihr Geburtsfest gefeiert; sie mußte des neugerichteten Hauses gedenken,

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