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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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bezeichnete das Verlangen, diese oben auf dem Gipfel abgebildet zu sehen.
    Er tat es, obgleich ungern, weil sie zu dem Charakter seines übrigen Entwurfs nicht passen wollte.
    Was Lucianen betraf, so war sie endlich von ihrer Ungeduld erlöst; denn ihre Absicht war keineswegs, eine gewissenhafte Zeichnung von ihm zu haben.
    Hätte er mit wenigen Strichen nur hinskizziert, was etwa einem Monument ähnlich gesehen, und sich die übrige Zeit mit ihr abgegeben, so wäre das wohl dem Endzweck und ihren Wünschen gemäßer gewesen.
    Bei seinem Benehmen dagegen kam sie in die größte Verlegenheit; denn ob sie gleich in ihrem Schmerz, ihren Anordnungen und Andeutungen, ihrem Beifall über das nach und nach Entstehende ziemlich abzuwechseln suchte und sie ihn einigemal beinahe herumzerrte, um nur mit ihm in eine Art von Verhältnis zu kommen, so erwies er sich doch gar zu steif, dergestalt daß sie allzuoft ihre Zuflucht zur Urne nehmen, sie an ihr Herz drücken und zum Himmel schauen mußte, ja zuletzt, weil sich doch dergleichen Situationen immer steigern, mehr einer Witwe von Ephesus als einer Königin von Karien ähnlich sah.
    Die Vorstellung zog sich daher in die Lage; der Klavierspieler, der sonst Geduld genug hatte, wußte nicht mehr, in welchen Ton er ausweichen sollte.
    Er dankte Gott, als er die Urne auf der Pyramide stehn sah, und fiel unwillkürlich, als die Königin ihren Dank ausdrücken wollte, in ein lustiges Thema, wodurch die Vorstellung zwar ihren Charakter verlor, die Gesellschaft jedoch völlig aufgeheitert wurde, die sich denn sogleich teilte, der Dame für ihren vortrefflichen Ausdruck und dem Architekten für seine künstliche und zierliche Zeichnung eine freudige Bewunderung zu beweisen.
    Besonders der Bräutigam unterhielt sich mit dem Architekten.
    »Es tut mir leid«, sagte jener, »daß die Zeichnung so vergänglich ist.
    Sie erlauben wenigstens, daß ich sie mir auf mein Zimmer bringen lasse und mich mit Ihnen darüber unterhalte«.
    –»Wenn es Ihnen Vergnügen macht«, sagte der Architekt, »so kann ich Ihnen sorgfältige Zeichnungen von dergleichen Gebäuden und Monumenten vorlegen, wovon dieses nur ein zufälliger, flüchtiger Entwurf ist«.
    Ottilie stand nicht fern und trat zu den beiden.
    »Versäumen Sie nicht«,sagte sie zum Architekten, »den Herrn Baron gelegentlich Ihre Sammlung sehen zu lassen; er ist ein Freund der Kunst und des Altertums; ich wünsche, daß Sie sich näher kennenlernen«.
    Luciane kam herbeigefahren und fragte: »wovon ist die Rede?« »Von einer Sammlung Kunstwerke«, antwortete der Baron, »welche dieser Herr besitzt und die er uns gelegentlich zeigen will«.
    »Er mag sie nur gleich bringen!« rief Luciane.
    »Nicht wahr, Sie bringen sie gleich?« setzte sie schmeichelnd hinzu, indem sie ihn mit beiden Händen freundlich anfaßte.
    »Es möchte jetzt der Zeitpunkt nicht sein«, versetzte der Architekt.
    »Was!« rief Luciane gebieterisch, »Sie wollen dem Befehl Ihrer Königin nicht gehorchen?« Dann legte sie sich auf ein neckisches Bitten.
    »Sein Sie nicht eigensinnig!« sagte Ottilie halb leise.
    Der Architekt entfernte sich mit einer Beugung; sie war weder bejahend noch verneinend.
    Kaum war er fort, als Luciane sich mit einem Windspiel im Saale herumjagte.
    »Ach!« rief sie aus, indem sie zufällig an ihre Mutter stieß, »wie bin ich nicht unglücklich!
    Ich habe meinen Affen nicht mitgenommen; man hat es mir abgeraten; es ist aber nur die Bequemlichkeit meiner Leute, die mich um dieses Vergnügen bringt.
    Ich will ihn aber nachkommen lassen, es soll mir jemand hin, ihn zu holen.
    Wenn ich nur sein Bildnis sehen könnte, so wäre ich schon vergnügt.
    Ich will ihn aber gewiß auch malen lassen, und er soll mir nicht von der Seite kommen«.
    »Vielleicht kann ich dich trösten«, versetzte Charlotte, »wenn ich dir aus der Bibliothek einen ganzen Band der wunderlichsten Affenbilder kommen lasse«.
    Luciane schrie vor Freuden laut auf, und der Folioband wurde gebracht.
    Der Anblick dieser menschenähnlichen und durch den Künstler noch mehr vermenschlichten abscheulichen Geschöpfe machte Lucianen die größte Freude.
    Ganz glücklich aber fühlte sie sich, bei einem jeden dieser Tiere die Ähnlichkeit mit bekannten Menschen zu finden.
    »Sieht der nicht aus wie die Onkel?« rief sie unbarmherzig, »der wie der Galanteriehändler M-, der wie der Pfarrer S-, und dieser ist der Dings, der leibhaftig.
    Im Grunde sind doch die Affen die eigentlichen

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