Die Wahlverwandtschaften
Incroyables, und es ist unbegreiflich, wie man sie aus der besten Gesellschaft ausschließen mag«.
Sie sagte das in der besten Gesellschaft, doch niemand nahm es ihr übel.
Man war so gewohnt, ihrer Anmut vieles zu erlauben, daß man zuletzt ihrer Unart alles erlaubte.
Ottilie unterhielt sich indessen mit dem Bräutigam.
Sie hoffte auf die Rückkunft des Architekten, dessen ernstere, geschmackvollere Sammlungen die Gesellschaft von diesem Affenwesen befreien sollten.
In dieser Erwartung hatte sie sich mit dem Baron besprochen und ihn auf manches aufmerksam gemacht.
Allein der Architekt blieb aus, und als er endlich wiederkam, verlor er sich unter der Gesellschaft, ohne etwas mitzubringen und ohne zu tun, als ob von etwas die Frage gewesen wäre.
Ottilie ward einen Augenblick – wie soll mans nennen?
– Verdrießlich, ungehalten, betroffen; sie hatte ein gutes Wort an ihn gewendet, sie gönnte dem Bräutigam eine vergnügte Stunde nach seinem Sinne, der bei seiner unendlichen Liebe für Lucianen doch von ihrem Betragen zu leiden schien.
Die Affen mußten einer Kollation Platz machen.
Gesellige Spiele, ja sogar noch Tänze, zuletzt ein freudeloses Herumsitzen und Wiederaufjagen einer schon gesunkenen Lust dauerten diesmal, wie sonst auch, weit über Mitternacht.
Denn schon hatte sich Luciane gewöhnt, morgens nicht aus dem Bette und abends nicht ins Bette gelangen zu können.
Um diese Zeit finden sich in Ottiliens Tagebuch Ereignisse seltner angemerkt, dagegen häufiger auf das Leben bezügliche und vom Leben abgezogene Maximen und Sentenzen.
Weil aber die meisten derselben wohl nicht durch ihre eigene Reflexion entstanden sein können, so ist es wahrscheinlich, daß man ihr irgendeinen Heft mitgeteilt, aus dem sie sich, was ihr gemütlich war, ausgeschrieben.
Manches Eigene von innigerem Bezug wird an dem roten Faden wohl zu erkennen sein.
Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten möchten.
Wir befinden uns nicht leicht in großer Gesellschaft, ohne zu denken, der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde herbeiführen.
Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sichs versieht, ein Schuldner oder ein Gläubiger.
Begegnet uns jemand, der uns Dank schuldig ist, gleich fällt es uns ein.
Wie oft können wir jemand begegnen, dem wir Dank schuldig sind, ohne daran zu denken!
Sich mitzuteilen ist Natur; mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.
Niemand würde viel in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewußt wäre, wie oft er die andern mißversteht.
Man verändert fremde Reden beim Wiederholen wohl nur darum so sehr, weil man sie nicht verstanden hat.
Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhörern zu schmeicheln, erregt Widerwillen.
Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.
Widerspruch und Schmeichelei machen beide ein schlechtes Gespräch.
Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere Ehrerbietung der Glieder gegeneinander obwaltet.
Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.
Das Lächerliche entspringt aus einem sittlichen Kontrast, der auf eine unschädliche Weise für die Sinne in Verbindung gebracht wird . der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist.
Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.
Der Verständige findet fast alles lächerlich, der Vernünftige fast nichts.
Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte.
»Es ist das einzige Mittel«, versetzte er, »sich zu verjüngen, und das will doch jedermann«.
Man läßt sich seine Mängel vorhalten, man läßt sich strafen, man leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man, wenn man sie ablegen soll.
Gewisse Mängel sind notwendig zum Dasein des einzelnen.
Es würde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten ablegten.
Man sagt: »es stirbt bald«, wenn einer etwas gern seine Art und Weise tut.
Was für Mängel dürfen wir behalten, ja an uns kultivieren? Solche, die den andern eher schmeicheln als sie verletzen.
Die Leidenschaften sind Mängel oder Tugenden, nur gesteigerte.
Unsre Leidenschaften sind wahre Phönixe.
Wie der alte verbrennt, steigt der neue sogleich wieder aus der Asche hervor.
Große Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung.
Was sie
Weitere Kostenlose Bücher