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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Hamlet.
    »Ich möchte eine Nummer«, sagte die Prinzessin auf der Erbse und faßte Robin beim Arm.
    Der Tumult hatte seinen Höhepunkt erreicht, als man eine einsame Gestalt bemerkte, die vom Stacheldrahtwall näher kam. Der Mann hielt ein weißes Taschentuch in der Hand.
    »Sehr gut«, sagte Mickymaus. »Macht Platz für die Marineinfanterie.«
    Major Liebestraum kam sich sehr klein vor, als er der Menge zorniger Gestalten gegenüberstand. »Wenn ich bitten darf«, sagte er, und sein normalerweise rauher Bariton hatte sich um zwei Oktaven gehoben. »Ich habe eine Botschaft von unserem Präsidenten. Er möchte Sie zu einer Party ins Weiße Haus einladen. Auf seine Kosten, versteht sich. Werden Sie kommen?«
    Die versammelten Erfindungen sperrten den Mund auf, und der Sturmwind ihres Gelächters blies Major Liebestraum glatt von den Füßen. »Wir sind schon unterwegs«, sagte Mickymaus.
     
    So begann der seltsamste Auszug, den die Welt je gesehen hatte. Die Erfindungen, die sich in Disneyland zusammengefunden hatten, angezogen von Mickymaus’ magnetischer Persönlichkeit, zogen nun durch die Straßen. Dumbo und Superman machten den Weg frei, indem sie die Stacheldrahtrollen und die Panzer beiseite schoben. Es gab keinen Widerstand. Soldaten, die in Vietnam verwundet worden waren, gafften wie fünfjährige Jungen. Einige der Mutigeren baten um Autogramme.
    Mickymaus überblickte die lange Kolonne, und eine große Träne rann ihm die Nase herab und tropfte aufs Pflaster. Er nahm Minnymaus bei der Hand. »Es klappt, Schätzchen«, sagte er. »Es klappt. Siehst du, wie alle Brüder hinausmarschieren, als ob ihnen die Welt gehörte? Ich habe mich nie so glücklich gefühlt. Wir haben es erreicht, verstehst du, Schätzchen? Und von nun an geht es nur noch aufwärts.«
    Minnymaus drückte ihm die Hand. Sie wußte nichts zu sagen.
    Bald war Disneyland beinahe verlassen. Superman richtete einen Pendelverkehr ein. Von Los Angeles nach Washington in zwanzig Sekunden. Batman und Robin hatten einen Überlandbus organisiert und boten eine Besichtigungsreise mit Führung durch die Südstaaten an. Manche zogen es vor, per Anhalter zu reisen, andere ritten Pferde. Heathcliffe fand einen Sportwagen mit Kompressor und fuhr nordwärts. Neben ihm, das lange Haar im Wind wehend, saß La Belle Dame Sans Merci.
    »Das wird nicht lange dauern«, bemerkte Eskimo Nell mit schlauem Zwinkern.
    »Was wird nicht lange dauern?« quiekte der kleine Noddy an ihrer Hand.

    Nell ächzte. »Bist du alles, was übrig ist? Dann komm mit, Junge! Laß uns sehen, ob wir einen Bus finden können, der nach Osten fährt, und dann erzähle ich dir eine Geschichte.«
    Ihre Stimmen verloren sich, als sie die Straße entlangtrotteten.
    Stille in Disneyland.
    Die zerstörten Gebäude und die verkohlte, blasig abblätternde Farbe und die vom Wind getriebenen Papierfetzen gaben ein trübseliges Bild ab.
    In einem Winkel, neben dem Gebäude, das einmal die Kleine Welt beherbergt hatte, saß Sherlock Holmes. Seine Mütze saß schief auf dem Kopf, und er fütterte Vögel mit Erdnußstückchen. Er war tief in Gedanken versunken.
    Donald Duck kam vorbeigewatschelt. Er vergewisserte sich, daß keiner von den Kleinen zurückgelassen worden war. Als er Sherlock sah, kauerte er sich neben ihn und sah den Vögeln zu, die im Abendsonnenschein die Erdnußbröckchen aufpickten.
    »Nun, Mr. Holmes«, sagte er schließlich, »was meinen Sie?«
    Sherlock Holmes kratzte sich im Nacken und tastete nach seinem Tabak. »Weiß nicht«, sagte er. »Ich weiß nichts mehr. Fange schon an, wie Dumbo zu reden. Du weißt, daß ich mit einem logischen Gehirn ausgestattet war. Ich glaubte, alles ließe sich durch klare, logische Analyse folgern, vorausgesetzt, man hatte alle richtigen Fakten. Aber dies … die Ereignisse der letzten paar Tage … sie widerstreben der Logik. Also bin ich an meinen Grenzen angelangt. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.« Er seufzte tief. »Aber es gibt gleichwohl einige Punkte, die mir Kopfzerbrechen bereiten. Ich wollte dich nicht in deiner feinen Ansprache unterbrechen, aber da waren zwei Punkte, die du nicht erklärtest.«
    Ein Glanz kam in Donald Ducks Augen, und er machte es sich bequem. »Schießen Sie los, Mr. Holmes!« sagte er.
    »Nun, das eine war deine Bemerkung, wir seien statisch. Ich akzeptiere das für mich selbst. Ich bin, wie mein Schöpfer mich machte, maßgeschneidert für diese menschliche Welt. Aber du bist nicht, wie dein Schöpfer

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