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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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Jenssen. Er versucht, einen Zusammenhang herzustellen zwischen meinem Unfall, dem Tod deiner Frau und dem Tod dieser anderen Frau.«
    Â»Es gibt keinen Zusammenhang.«
    Â»Das glaube ich sofort. Aber er glaubt es. Wenn die Polizei zu suchen anfängt, dann findet sie immer etwas. Ich hatte eine braune Tasche im Auto. Darin war alles, was ich über dich gesammelt habe. Dieses Bild …«, Fasch legte seine Hand auf das Bild, »war in der braunen Tasche bei meinen Unterlagen. Jenssen hat’s mir zurückgegeben und behauptet, keine Tasche gefunden zu haben. Ich glaube, die Polizei hat alles.«
    Â»Was hast du über mich gesammelt?«
    Â»Deine Vergangenheit. Die Gerichtsakten über deine Eltern, deine Tour durch die Heime, dann wieder alles über deine Karriere als Schriftsteller. Einfach alles, was ich finden konnte.«
    Â»Wozu?«, fragte Henry ohne eine Spur von Entrüstung in der Stimme.
    Fasch beugte den Oberkörper noch weiter vor. Seine Beinschienen knackten leise. »Um dich zu vernichten, Henry. Weil ich neidisch war. Weil ich ein rachsüchtiger, kleiner, schäbiger Versager war. Weil ich nichts aus meinem Leben gemacht habe, weil ich sein wollte wie du, weil jeder irgendwas sein will, irgendwas tun muss. Ich war so einsam, dass ich die letzten Jahre mit Miss Wong gelebt habe, einer Frau aus Silikon.« Fasch hustete lachend, streckte die Hand nach dem Wasserglas aus, Henry stand auf und reichte es ihm. Er trank das Glas aus.
    Â»Ich war so furchtbar neidisch auf deinen Erfolg. Neid ist schlimmer als Krebs, ich habe gelitten, wenn dir das ein Trost ist. Ich wollte dir schaden und beweisen …«, das letzte Quäntchen Wahrheit wollte nur mühsam heraus, »dass du die Romane nicht selbst geschrieben hast. Kannst du mir das verzeihen?«
    Fasch ließ sich zurücksinken. Jetzt war es raus. Er schloss erschöpft die Augen und zählte stumm bis drei. Aber er raste nicht durch die Kurve auf Henry zu, er sah nur wohltuende Dunkelheit. Als er die Augen öffnete, stand Henry am Fenster und schaute in den Park.
    Â»War Miss Wong wenigstens hübsch?«, fragte er.
    Â»Hübsch? Sie sah phantastisch aus. Einen IQ von 90-60-90 hatte die! Jetzt nicht mehr, sie ist verbrannt.«
    Â»Das tut mir leid.«
    Â»Ach, vergiss es, wir hatten uns schon lange nichts mehr zu sagen. Apropos, ich muss noch einen Kredit abbezahlen für sie.« Bei dem darauf folgenden Lachanfall löste sich ein Schleimpfropf aus Gisberts angegriffenem Lungengewebe und gelangte in die Luftröhre. Fasch lief blau an, Henry klingelte nach der Schwester. Die junge Frau mit dem Pagenkopf eilte ins Zimmer, setzte Fasch die Sauerstoffmaske auf und fuhr das elektrische Kopfteil wieder herunter.
    Â»Sie sollen doch gerade liegen, Herr Fasch«, tadelte die Frau ihren Privatpatienten und strich sein Bettzeug glatt. Henry betrachtete ihren wohlgeformten Hintern, während sie sich über das Bett beugte. Sie musste seinen Blick bemerkt haben, denn sie richtete sich auf und strich ihren Kittel glatt. »Brauchen Sie noch was, Herr Fasch?« Bevor Fasch antworten konnte, warf sie Henry einen neugierigen Blick zu und ging zur Tür.
    Die beiden Männer warteten wortlos, bis sie gegangen war. »Jedes Mal, wenn sie reinkommt, hab ich eine Nahtoderfahrung. Miss Wong war ein Bauerntrampel gegen die«, sagte Fasch und seufzte, »aber sie hörte wenigstens zu.«
    Â»Gisbert«, sagte Henry und setzte sich wieder auf den Stuhl an seinem Bett, »was weißt du über mich?«

XXI
    D as Tiefdruckgebiet entstand irgendwo über dem Nordatlantik westlich der Färöer-Inseln. Für die Jahreszeit ungewöhnlich, stiegen warme Luftsäulen empor, und durch den sinkenden Luftdruck wurde kühlere Luft angesogen. Erste Winde wehten, Millionen Tonnen feinster Wassertropfen stiegen auf, wurden zu Eiskristallen und begannen, gegen den Uhrzeigersinn zu rotieren. Mit zunehmender Geschwindigkeit wanderte das Tiefdruckgebiet ostwärts. Bereits eine Stunde später gab der Seewetterdienst die erste Sturmwarnung an die schottischen Küstenfunkstellen weiter.
    Im Garten seines Anwesens neben einem ausladenden Ast des Kirschbaums hatte Henry sich positioniert und richtete das 85-mm-Objektiv seiner Canon auf das offene Scheunentor. Er wedelte die Mücken aus seinem Gesicht und wartete. Die Gestalt im Inneren der Scheune verhielt sich neutral. Sie bewegte sich nicht,

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