Die Wanderapothekerin 1-6
einiges berichten können. Stattdessen hatte sie ihn mit ihrer Haltung verärgert.
»Das ist wirklich eigenartig«, erwiderte sie nachdenklich. »Der Oheim hat uns bei seiner Rückkehr im letzten Herbst erzählt, dass er verzweifelt nach Gerold gesucht hätte. Von einer Rastwoche in Michelstadt war nicht die Rede gewesen. Er habe fast dessen gesamte Strecke abgesucht, behauptete er damals. Aber wir haben jetzt schon mehr als drei Viertel davon geschafft und wissen, dass Gerold auf jeden Fall bis hierher gelangt sein muss. Der Oheim hätte dies ebenfalls herausfinden und dort nach ihm suchen müssen, wo sich seine Spur verloren hat.«
»Ich traue diesem komischen Bruder – entschuldige, ich meine, deinem Oheim – nicht! Er hat etwas Verschlagenes an sich«, erklärte Martha.
»Du meinst, er habe vielleicht gar nicht gesucht, sondern uns gegenüber nur so getan?«
Im ersten Augenblick wollte Klara es nicht glauben. Dann aber erinnerte sie sich, dass Gerolds Verschwinden ihrem Onkel durchaus gelegen gekommen sein musste. Hätte sie nicht eingegriffen, würde er bereits den verborgenen Schatz ihres Vaters besitzen und hätte die Mutter mit einem Bettel abgefunden.
»Wir sollten uns auf unserem Weg nicht nur nach meinem Bruder erkundigen, sondern auch danach, ob der Oheim nach ihm gefragt hat«, sagte sie angespannt.
»Genau das meine ich!«, erwiderte Martha heftig nickend. »Ich traue diesem Kerl alles zu! Ein Mann, dessen Augen nicht funkeln, wenn er ein hübsches Mädchen sieht, macht mich misstrauisch. So einer hat meist etwas zu verbergen.«
»Meinst du mit dem hübschen Mädchen dich?«, fragte Klara lachend.
»Und wenn schon! Herrn Tobias’ Augen haben geleuchtet, als er mich angesehen hat, wenn auch nicht so stark wie bei deinem Anblick. Dein Oheim hingegen hat vor sich hingestiert, als würde er über etwas nachbrüten. Erst als er ein paar Becher Wein getrunken hatte, zeigte sich auf seinem Gesicht eine ähnliche Gier wie bei Graf Benno! Deshalb bin ich ihm danach aus dem Weg gegangen.«
Es lag Klara bereits auf der Zunge zu fragen, ob sie das auch bei Tobias getan hätte, doch sie schluckte es wieder hinunter. Stattdessen betrachtete sie ihre Freundin mit einem prüfenden Blick.
Martha war hübsch, das musste Klara zugeben. Ihre Freundin hatte eine leicht stämmige, aber ebenmäßige Figur, feste Brüste und einen hübsch geschwungenen Hintern. In trüben Augenblicken fühlte sie sich im Vergleich zu Martha richtiggehend dürr, obwohl sie gewiss nicht hager war. Ein sanft geschnittenes Gesicht mit fröhlich blitzenden Augen und in weichen Wellen auf den Rücken fallendes blondes Haar machten Martha zu einem Anblick, der einem Mann durchaus gefallen konnte.
Werde jetzt nicht auch noch auf ihr Aussehen eifersüchtig, rief Klara sich zur Ordnung und wandte sich wieder dem Thema zu, das ihr wichtiger erschien.
»Mein Oheim ist tatsächlich seltsam geworden«, berichtete sie. »Es begann im vorletzten Herbst, als er ohne unseren Vater zurückgekehrt ist. Da wollte er von Mutter unbedingt etwas haben, was dem Vater gehört hatte, und wurde dabei richtig aufdringlich. Mein Bruder musste ihn schließlich aus dem Haus weisen, weil der Oheim nicht aufgeben wollte. Fast den ganzen Winter haben wir kaum ein Wort mit ihm gewechselt, nur mit seiner Frau und meiner Base, die uns gegenüber eine regelrechte Schau aufführten, wie gut es ihnen ging. Doch als der Frühling kam und Gerold das Wanderprivileg meines Vaters erhielt, erschien der Oheim auf einmal wieder bei uns und bot an, meinem Bruder beizustehen. Gerold wollte es nicht, doch die Mutter hat ihn dazu gedrängt, um den Streit in der Familie zu beenden.«
Noch einmal erlebte Klara in Gedanken jene schrecklichen Tage mit, in denen sie vom Verlust des Vaters erfahren hatten und in denen ihr Bruder mit dem festen Willen aufgebrochen war, dessen Nachfolge anzutreten.
»Wir werden im nächsten Dorf sowohl nach Gerold als auch nach dem Oheim fragen«, setzte sie mit entschlossener Miene hinzu und schritt rascher aus.
9.
T obias Just hatte seine Verhandlungen mit den Apothekern beendet und mehrere gute Abschlüsse tätigen können. Die Qualität der Heilpflanzen seiner Heimat war bekannt, und so hatten einige die entsprechenden Essenzen von ihm bestellt. Jetzt musste er erst wieder gegen Ende des Weges mit ein paar Apothekern sprechen und konnte sich bis dorthin um Klara kümmern.
Er mietete sich erneut ein Pferd und ritt, von einem Knecht des
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