Die Wanderapothekerin 1: Ein beherztes Mädchen (German Edition)
sie diesen Gedanken endgültig. Der Bursche musste wirklich strohdumm sein, sonst würde er sich nicht von ihrer Base zum Narren halten lassen und die Arbeit übernehmen, die diese längst selbst hätte erledigen können.
Mit einem tiefen Seufzer passierte Klara das Anwesen, und erst, als sie ein ganzes Stück weitergegangen waren, fiel ihr auf, dass Reglind kein einziges Wort der Anteilnahme von sich gegeben hatte. Die Tante war nicht einmal aus ihrem Haus gekommen, um ihr Mitgefühl auszudrücken. Das ist nicht gerade die Verwandtschaft, die man sich wünscht, sagte sie sich. Trotzdem musste sie hoffen, dass ihr Onkel Rumold Just gnädig stimmen konnte. Doch selbst, wenn ihm das gelang, blieben immer noch der Amtmann und die Steuer, die sie niemals würden aufbringen können. Klara war daher auf das Geheimnis gespannt, das ihr am Abend enthüllt werden sollte. Damit die Mutter Wort hielt, wollte sie tagsüber noch fleißiger arbeiten als sonst.
Das Glück war ihnen hold, denn bereits der erste Platz, den die Mutter aufsuchte, bot ihnen eine solche Menge an wertvollen Arzneikräutern, dass sie zwei Stunden brauchten, um alles zu sammeln, zu säubern und sorgfältig sortiert in die Körbe zu legen. Albert entdeckte ein paar Schritte weiter Steinpilze, die er vorsichtig abschnitt und zur Mutter brachte.
»Essen wir die heute Abend?«, fragte er hoffnungsvoll.
Johanna Schneidt nahm die schönsten an sich und schüttelte bedauernd den Kopf. »Die schneiden wir klein und trocknen sie, damit Klara sie auf dem Markt verkaufen kann. Wir brauchen jeden Groschen, wenn wir durchkommen wollen.«
Die Mutter schien nicht wirklich bereit zu sein, auf den Vorschlag des Onkels einzugehen, stellte Klara fest. Also gab es bei dieser Sache einen Pferdefuß. Diesen musste sie sich genau anschauen, denn sie befürchtete, dass die Forderung des Onkels ihnen zum Nachteil ausschlagen würde. Allerdings war ihre Not groß, und in einer solchen fraß selbst der Teufel Fliegen.
Sie vernahm Hufschläge und blickte auf. Drei Reiter trabten auf sie zu. Einer von ihnen trug die Montur eines fürstlichen Jägers, die anderen waren nur mit schlichten Röcken und Kniehosen in der Art städtischer Bürger bekleidet. Als sie näher kamen, erkannte Klara in einem von ihnen Tobias, den Sohn des Laboranten Rumold Just.
»He, ihr da!«, rief der Jäger. »Habt ihr etwas Ungewöhnliches bemerkt?«
Klaras Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, Herr! Wir sind eben aus Katzhütte hochgestiegen und sammeln hier Kräuter. Die Erlaubnis dazu haben wir.«
»Ich kenne die Frau«, mischte sich Tobias Just ein. »Es ist das Weib unseres Wanderapothekers Martin Schneidt und wie dieser eine ehrliche Haut.«
»Das bezweifle ich nicht«, antwortete der Jäger mit gepresster Stimme. »Ich bin auch nicht hier, um ihre Erlaubnis, Kräuter zu sammeln, nachzuprüfen, sondern will wissen, ob sie etwas entdeckt haben, was uns weiterhelfen kann.«
»Ist ein Unglück geschehen?«, fragte Klara neugierig.
Tobias Just wandte sich ihr zu und nickte. »Ein Reisender wurde keine anderthalb Meilen von hier umgebracht, und seine Tochter ist verschwunden. Es ist wie bei dem Juden damals! Der Vater tot, das Mädchen weg, so als wenn ein Bär oder Wolf nur das Fleisch von Jungfrauen fressen würde.«
Klara schauderte es. »Das ist ja entsetzlich!«, flüsterte sie. »Aber einen Bären oder ein anderes Untier hätten die fürstlichen Jäger doch längst erlegen müssen.«
»Nicht, wenn das Viehzeug von einem der sächsischen Fürstentümer überwechselt. Dorthin dürfen wir es leider nicht verfolgen«, erklärte der Jäger.
»Aber auch dort gibt es Männer, die es stellen und töten können«, wandte Klara ein.
»Es muss ja kein Ungeheuer sein, wenigstens kein vierbeiniges«, sagte Tobias.
Klara schüttelte verwirrt den Kopf. »Was soll es denn sonst sein? Doch gewiss kein Mensch!«
»Das wissen wir erst, wenn wir die verschwundenen Mädchen gefunden haben. Auf jeden Fall sollen die jungen Frauen in dieser Gegend vorsichtig sein und nicht in den Wald hineingehen.«
Tobias warf Klara einen warnenden Blick zu und musterte sie dann verblüfft. Wie hatte aus dem dürren Ding, das er vor zwei Jahren – oder waren es schon drei gewesen? – in Martin Schneidts Begleitung auf dem Jahrmarkt in Königsee gesehen hatte, so ein hübsches Mädchen werden können?
»Wir durchsuchen den gesamten Wald«, erklärte der Jäger, der sich von Tobias nicht das Heft aus der Hand nehmen
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