Die Wanderapothekerin 1: Ein beherztes Mädchen (German Edition)
fand, dass er sich diesmal einen teuren Braten leisten konnte. »Her damit!«, rief er. »Doch sag es nicht meinem Bruder weiter. Martin ist arg sparsam und würde mich schelten. Aber wozu ist man Mensch, wenn man sich nicht einmal eine kleine Freude gönnen kann?«
»Das sind auch meine Worte«, erklärte der Wirt und ging in die Küche, um das Verlangte zu holen.
Auf Alois Schneidts Gesicht erlosch die betont frohe Miene, die er mühsam aufrechterhalten hatte, und sein Gesicht verzerrte sich wie im Schmerz. Nur wenig später kam der Wirt mit einem vollen Holzteller zurück und sah den Gast verwundert an.
»Was ist denn mit dir los? Hast du dir Blasen gelaufen, oder was, weil du eine so jämmerliche Miene ziehst?«
»Ich mache mir halt Sorgen um meinen Bruder, denn er ist in den letzten zehn Jahren immer vor mir hier eingetroffen. Nicht, dass ihm etwas zugestoßen ist! Man hört allenthalben von Räubern und wilden Tieren. Und auch die Franzosen darf man nicht vergessen. Die haben schon so manchen braven Mann über die Klinge springen lassen.«
Der Wirt lachte dröhnend. »Bei Gott, du ängstigst dich ja wie ein Mädchen, Schneidt. Dabei bist du ein Trumm von Mannsbild, das selbst mit einem Bären fertigwerden könnte. Dein Bruder ist nicht schwächer als du, und was die Soldaten des vierzehnten Ludwigs angeht, so führt deren Feldzug heuer in eine andere Gegend. Wieso sollte deinem Bruder da etwas zugestoßen sein? Hier! Iss und trink, damit sich deine Eingeweide wieder beruhigen. Bis zum Abend oder spätestens morgen ist der Martin da und wird dich wegen deiner Besorgnis verspotten.«
Alois nickte, als wolle er dem Wirt zustimmen, zog sein Messer und begann, den Braten klein zu schneiden. Als er den ersten Bissen in den Mund schob und darauf herumkaute, sagte er sich, dass er mit dem Spanferkel eine gute Wahl getroffen hatte. Das Fleisch schmeckte ausgezeichnet, und mit dem Essen kehrte auch seine innere Ruhe zurück. Das, was geschehen war, konnte er nicht mehr rückgängig machen, also musste er zusehen, dass er den besten Gewinn daraus schlug. Dies hieß aber, sich mit seinem Neffen auseinanderzusetzen. Gerold war ihm gewiss noch weniger gewachsen, als sein Bruder es gewesen war.
Einen Augenblick dachte er an Klara, die älteste Tochter seines Bruders. Sie war im gleichen Alter wie seine Reglind und galt bei einigen als die Hübschere von beiden. Vor allem aber hatte sie den Dickkopf ihres Vaters geerbt und würde ihrer Mutter wahrscheinlich noch heftiger als ihr Bruder abraten, ihm den Schatz auszuliefern. Einerseits, so sagte er sich, war sie nur ein Mädchen und musste gehorchen, andererseits aber kannte er sie und war sicher, dass sie ihre Mutter und ihren Bruder gegen ihn beeinflussen würde.
»Gegen Gerold und Klara zusammen werde ich einen schweren Stand haben. Doch wenn der Junge im nächsten Jahr mit mir unterwegs ist, sieht die Sache schon anders aus. Was auch geschehen mag – das Gold ist bald mein!«
Im nächsten Augenblick begriff er, dass er erneut seine geheimsten Gedanken laut ausgesprochen hatte, und sah sich erschrocken um. Er befand sich jedoch allein in der Gaststube, denn Bolland war in die Küche zurückgekehrt, und andere Gäste würden erst am Abend eintreffen.
Alois Schneidt atmete tief durch, um die Beklemmung in seiner Brust loszuwerden, und widmete sich wieder seinem Spanferkel. Sobald er seine Hand auf das Gold gelegt hatte, würde er täglich so gut speisen können, dachte er und füllte seinen Becher aus dem Krug, den ihm der Wirt hingestellt hatte.
Erster Teil
Ein beherztes Mädchen
1.
K lara fühlte die tiefe Verzweiflung der Mutter und wünschte sich, ihr helfen zu können. Aber das Unglück, das über sie hereingebrochen war, war so niederschmetternd, dass sie glaubte, darunter zusammenzubrechen. Daher konnte sie den Onkel, der mit düsterer Miene vor ihnen stand, nur hilflos anstarren. Er trug sogar noch das Reff auf dem Rücken, war also gleich zu ihnen gekommen, ohne zuerst seine Frau und seine Tochter zu begrüßen.
»Nein! Nein! Sag, dass das nicht wahr ist, Schwager!«, rief Klaras Mutter ein ums andere Mal.
»Ich wollte, ich könnte es«, antwortete Alois Schneidt schließlich. »Aber ich habe über den Markt in Gernsbach hinaus noch eine ganze Woche auf den Jungen gewartet. Da ja bereits mein Bruder im letzten Jahr nicht von seiner Strecke zurückgekommen ist, bin ich Gerolds letztes Wegstück abgegangen und habe überall nach ihm gefragt. Doch ich
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