Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Thiere, eben so wohl als umgekehrt alle diese wieder jenen. Alle Theile der Natur kommen sich entgegen, weil ein Wille es ist, der in ihnen allen erscheint, die Zeitfolge aber seiner ursprünglichen und allein adäquaten Objektität (diesen Ausdruck erklärt das folgende Buch), den Ideen, ganz fremd ist. Noch jetzt, da die Geschlechter sich nur zu erhalten, nicht mehr zu entstehn haben, sehn wir hin und wieder eine solche sich auf das Zukünftige erstreckende, eigentlich von der Zeitfolge gleichsam abstrahirende Vorsorge der Natur, ein Sichbequemen dessen was da ist, nach dem was noch kommen soll. So baut der Vogel das Nest für die Jungen, welche er noch nicht kennt; der Biber errichtet einen Bau, dessen Zweck ihm unbekannt ist; die Ameise, der Hamster, die Biene sammeln Vorräthe zu dem ihnen unbekannten Winter; die Spinne, der Ameisenlöwe errichten, wie mit überlegter List, Fallen für den künftigen, ihnen unbekannten Raub; die Insekten legen ihre Eier dahin, wo die künftige Brut künftig Nahrung findet. Wann, um die Blüthezeit, die weibliche Blume der diöcistischen Vallisneria die Spiralwindungen ihres Stängels, von denen sie bisher an den Grund des Wassers gehalten wurde, entwickelt und dadurch auf die Oberfläche hinaufsteigt, genau dann reißt die auf dem Grunde des Wassers an einem kurzen Stängel wachsende männliche Blume sich von diesem ab und gelangt so, mit Aufopferung ihres Lebens, auf die Oberfläche, woselbst sie umherschwimmend die weibliche Blume aufsucht, welche sodann, nach geschehener Befruchtung, sich wieder durch Kontraktion ihrer Spirale zurückzieht auf den Grund, woselbst die Frucht sich ausbildet 45 . Auch hier muß ich nochmals der Larve des männlichen Hirschschröters gedenken, die das Loch im Holze zu ihrer Metamorphose noch ein Mal so groß beißt, als die weibliche, um Raum für die künftigen Hörner zu gewinnen. Ueberhaupt also giebt uns der Instinkt der Thiere die beste Erläuterung zur übrigen Teleologie der Natur. Denn wie der Instinkt ein Handeln ist, gleich dem nach einem Zweckbegriff, und doch ganz ohne denselben; so ist alles Bilden der Natur gleich dem nach einem Zweckbegriff, und doch ganz ohne denselben. Denn in der äußern, wie in der innern Teleologie der Natur ist, was wir als Mittel und Zweck denken müssen, überall nur die für unsere Erkenntnißweise in Raum und Zeit auseinandergetretene Erscheinung der Einheit des mit sich selbst soweit übereinstimmenden einen Willens.
Inzwischen kann das aus dieser Einheit entspringende sich wechselseitige Anpassen und Sichbequemen der Erscheinungen dennoch nicht den oben dargestellten, im allgemeinen Kampf der Natur erscheinenden innern Widerstreit tilgen, der dem Willen wesentlich ist. Jene Harmonie geht nur so weit, daß sie den Bestand der Welt und ihrer Wesen möglich macht, welche daher ohne sie längst untergegangen wären. Daher erstreckt sie sich nur auf den Bestand der Species und der allgemeinen Lebensbedingungen, nicht aber auf den der Individuen, Wenn demnach, vermöge jener Harmonie und Akkommodation, die Species im Organischen und die allgemeinen Naturkräfte im Unorganischen neben einander bestehn, sogar sich wechselseitig unterstützen; so zeigt sich dagegen der innere Widerstreit des durch alle jene Ideen objektivirten Willens im unaufhörlichen Vertilgungskriege der Individuen jener Species und im beständigen Ringen der Erscheinungen jener Naturkräfte mit einander, wie oben ausgeführt worden. Der Tummelplatz und der Gegenstand dieses Kampfs ist die Materie, welche sie wechselseitig einander zu entreißen streben, wie auch Raum und Zeit, deren Vereinigung durch die Form der Kausalität eigentlich die Materie ist, wie im ersten Buche dargethan. 46
§ 29
Ich beschließe hier den zweiten Haupttheil meiner Darstellung, in der Hoffnung, daß, soweit es bei der allerersten Mitheilung eines noch nie dagewesenen Gedankens, der daher von den Spuren der Individualität, in welcher zuerst er sich erzeugte, nicht ganz frei seyn kann, – möglich ist, es mir gelungen sei, die deutliche Gewißheit mitzutheilen, daß diese Welt, in der wir leben und sind, ihrem ganzen Wesen nach, durch und durch Wille und zugleich durch und durch Vorstellung ist; daß diese Vorstellung schon als solche eine Form voraussetzt, nämlich Objekt und Subjekt, mithin relativ ist; und wenn wir fragen, was nach Aufhebung dieser Form und aller ihr untergeordneten, die der Satz vom Grund ausdrückt, noch übrig bleibt; dieses als ein von
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