Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ursprünglichen, nicht wechselnden Formen und Eigenschaften aller natürlichen, sowohl unorganischen, als organischen Körper, wie auch die nach Naturgesetzen sich offenbarenden allgemeinen Kräfte sind. Diese Ideen also insgesammt stellen sich in unzähligen Individuen und Einzelheiten dar, als deren Vorbild sie sich zu diesen ihren Nachbildern verhalten. Die Vielheit solcher Individuen ist durch Zeit und Raum, das Entstehn und Vergehn derselben durch Kausalität allein vorstellbar, in welchen Formen allen wir nur die verschiedenen Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkennen, der das letzte Princip aller Endlichkeit, aller Individuation und die allgemeine Form der Vorstellung, wie sie in die Erkenntniß des Individuums als solchen fällt, ist. Die Idee hingegen geht in jenes Princip nicht ein: daher ihr weder Vielheit noch Wechsel zukommt. Während die Individuen, in denen sie sich darstellt, unzählige sind und unaufhaltsam werden und vergehn, bleibt sie unverändert als die eine und selbe stehn, und der Satz vom Grunde hat für sie keine Bedeutung. Da dieser nun aber die Form ist, unter der alle Erkenntniß des Subjekts steht, sofern dieses als Individuum erkennt; so werden die Ideen auch ganz außerhalb der Erkenntnißsphäre desselben als solchen liegen. Wenn daher die Ideen Objekt der Erkenntniß werden sollen; so wird dies nur unter Aufhebung der Individualität im erkennenden Subjekt geschehn können. Die näheren und ausführlichen Erklärungen hierüber sind nunmehr was uns zunächst beschäftigen wird.
§ 31
Zuvor jedoch noch folgende sehr wesentliche Bemerkung. Ich hoffe, daß es mir im vorhergehenden Buche gelungen ist, die Ueberzeugung hervorzubringen, daß Dasjenige, was in der Kantischen Philosophie das Ding an sich genannt wird und daselbst als eine so bedeutende, aber dunkle und paradoxe Lehre auftritt, besonders aber durch die Art, wie Kant es einführte, nämlich durch den Schluß vom Begründeten auf den Grund, als ein Stein des Anstoßes, ja, als die schwache Seite seiner Philosophie befunden ward, daß, sage ich, dieses, wenn man auf dem ganz andern Wege, den wir gegangen sind, dazu gelangt, nichts Anderes ist, als der Wille , in der auf die angegebene Weise erweiterten und bestimmten Sphäre dieses Begriffs. Ich hoffe ferner, daß man, nach dem Vorgetragenen, kein Bedenken hegen wird, in den bestimmten Stufen der Objektivation jenes, das Ansich der Welt ausmachenden Willens, Dasjenige wiederzuerkennen, was Plato die ewigen Ideen , oder die unveränderlichen Formen ( eidê ) nannte, welche, als das hauptsächliche, aber zugleich dunkelste und paradoxeste Dogma seiner Lehre anerkannt, ein Gegenstand des Nachdenkens, des Streites, des Spottes und der Verehrung so vieler und verschieden gesinnter Köpfe in einer Reihe von Jahrhunderten gewesen sind.
Ist uns nun der Wille das Ding an sich , die Idee aber die unmittelbare Objektität jenes Willens auf einer bestimmten Stufe; so finden wir Kants Ding an sich und Plato's Idee, die ihm allein ontôs on ist, diese beiden großen dunkeln Paradoxen, der beiden größten Philosophen des Occidents, – zwar nicht als identisch, aber doch als sehr nahe verwandt und nur durch eine einzige Bestimmung unterschieden. Beide große Paradoxa sind sogar, eben weil sie, bei allem innern Einklang und Verwandtschaft, durch die außerordentlich verschiedenen Individualitäten ihrer Urheber, so höchst verschieden lauten, der beste Kommentar wechselseitig eines des andern, indem sie zwei ganz verschiedenen Wegen gleichen, die zu einem Ziele führen. – Dies läßt sich mit Wenigem deutlich machen. Nämlich was Kant sagt, ist, dem Wesentlichen nach, Folgendes: »Zeit, Raum und Kausalität sind nicht Bestimmungen des Dinges an sich; sondern gehören nur seiner Erscheinung an, indem sie nichts, als Formen unserer Erkenntniß sind. Da nun aber alle Vielheit und alles Entstehn und Vergehn allein durch Zeit, Raum und Kausalität möglich sind; so folgt, daß auch jene allein der Erscheinung, keineswegs dem Dinge an sich anhängen. Weil unsere Erkenntniß aber durch jene Formen bedingt ist; so ist die gesammte Erfahrung nur Erkenntniß der Erscheinung, nicht des Dinges an sich: daher auch können ihre Gesetze nicht auf das Ding an sich geltend gemacht werden. Selbst auf unser eigenes ich erstreckt sich das Gesagte, und wir erkennen es nur als Erscheinung, nicht nach dem, was es an sich seyn mag.« Dieses ist, in der betrachteten wichtigen Rücksicht, der Sinn und Inhalt
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