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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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nicht hin zur vollständigen Darstellung seiner Idee, vielmehr wird diese erst ergänzt durch die Handlungen des Thieres, in denen sein empirischer Charakter, welcher in der ganzen Species der selbe ist, sich ausspricht und erst die vollständige Offenbarung der Idee ist, wobei sie den bestimmten Organismus als Grundbedingung voraussetzt. Beim Menschen ist schon in jedem Individuo der empirische Charakter ein eigenthümlicher (ja, wie wir im vierten Buche sehn werden, bis zur völligen Aufhebung des Charakters der Species, nämlich durch Selbstaufhebung des ganzen Wollens). Was, durch die nothwendige Entwickelung in der Zeit und das dadurch bedingte Zerfallen in einzelne Handlungen, als empirischer Charakter erkannt wird, ist, mit Abstraktion von dieser zeitlichen Form der Erscheinung, der intelligible Charakter , nach dem Ausdrucke Kants, der in der Nachweisung dieser Unterscheidung und Darstellung des Verhältnisses zwischen Freiheit und Nothwendigkeit, d.h. eigentlich zwischen dem Willen als Ding an sich und seiner Erscheinung in der Zeit, sein unsterbliches Verdienst besonders herrlich zeigt 42 . Der intelligible Charakter fällt also mit der Idee, oder noch eigentlicher mit dem ursprünglichen Willensakt, der sich in ihr offenbart, zusammen: insofern ist also nicht nur der empirische Charakter jedes Menschen, sondern auch der jeder Thierspecies, ja jeder Pflanzenspecies und sogar jeder ursprünglichen Kraft der unorganischen Natur, als Erscheinung eines intelligibeln Charakters, d.h. eines außerzeitlichen untheilbaren Willensaktes anzusehn. – Beiläufig möchte ich hier aufmerksam machen auf die Naivetät, mit der jede Pflanze ihren ganzen Charakter durch die bloße Gestalt ausspricht und offen darlegt, ihr ganzes Seyn und Wollen offenbart, wodurch die Physiognomien der Pflanzen so interessant sind; während das Thier, um seiner Idee nach erkannt zu werden, schon in seinem Thun und Treiben beobachtet, der Mensch vollends erforscht und versucht seyn will, da ihn Vernunft der Verstellung in hohem Grade fähig macht. Das Thier ist um eben so viel naiver als der Mensch, wie die Pflanze naiver ist als das Thier. Im Thiere sehn wir den Willen zum Leben gleichsam nackter, als im Menschen, wo er mit so vieler Erkenntniß überkleidet und zudem durch die Fähigkeit der Verstellung verhüllt ist, daß sein wahres Wesen fast nur zufällig und stellenweise zum Vorschein kommt. Ganz nackt, aber auch viel schwächer, zeigt er sich in der Pflanze, als bloßer, blinder Drang zum Daseyn, ohne Zweck und Ziel. Denn diese offenbart ihr ganzes Wesen dem ersten Blick und mit vollkommener Unschuld, die nicht darunter leidet, daß sie die Genitalien, welche bei allen Thieren den verstecktesten Platz erhalten haben, auf ihrem Gipfel zur Schau trägt. Diese Unschuld der Pflanze beruht auf ihrer Erkenntnißlosigkeit: nicht im Wollen, sondern im Wollen mit Erkenntniß liegt die Schuld. Jede Pflanze erzählt nun zunächst von ihrer Heimath, dem Klima derselben und der Natur des Bodens, dem sie entsprossen ist. Daher erkennt selbst der wenig Geübte leicht, ob eine exotische Pflanze der tropischen, oder der gemäßigten Zone angehöre, und ob sie im Wasser, im Sumpfe, auf Bergen, oder auf der Haide wachse. Außerdem aber spricht jede Pflanze noch den speciellen Willen ihrer Gattung aus und sagt etwas, das sich in keiner andern Sprache ausdrücken läßt. – Aber jetzt zur Anwendung des Gesagten auf die teleologische Betrachtung der Organismen, sofern sie ihre innere Zweckmäßigkeit betrifft. Wenn in der unorganischen Natur die überall als ein einziger Willensakt zu betrachtende Idee sich auch nur in einer einzigen und immer gleichen Aeußerung offenbart, und man daher sagen kann, daß hier der empirische Charakter unmittelbar der Einheit des intelligibeln theilhaft ist, gleichsam mit ihm zusammenfällt, weshalb hier keine innere Zweckmäßigkeit sich zeigen kann; wenn dagegen alle Organismen, durch eine Succession von Entwickelungen nach einander, welche durch eine Mannigfaltigkeit verschiedener Theile neben einander bedingt ist, ihre Idee darstellen, also die Summe der Aeußerungen ihres empirischen Charakters erst in der Zusammenfassung Ausdruck des intelligibeln ist; so hebt dieses nothwendige Nebeneinander der Theile und Nacheinander der Entwickelung doch nicht die Einheit der erscheinenden Idee, des sich äußernden Willensaktes, auf: vielmehr findet diese Einheit nunmehr ihren Ausdruck an der nothwendigen Beziehung und Verkettung

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