Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ästhetisch ; die Hindostanische wendet sich an den Begriff, daher ist sie bloß symbolisch.
Dieses auf unsere bisherigen Betrachtungen über das innere Wesen der Kunst gegründete und damit genau zusammenhängende Unheil über die Allegorie ist der Ansicht Winckelmanns gerade entgegengesetzt, welcher, weit entfernt, wie wir, die Allegorie für etwas dem Zweck der Kunst ganz fremdes und ihn oft störendes zu erklären, ihr überall das Wort redet, ja sogar (Werke, Bd. I, S. 55 fg.) den höchsten Zweck der Kunst in die »Darstellung allgemeiner Begriffe und nichtsinnlicher Dinge« setzt. Es bleibe jedem überlassen, der einen oder der andern Ansicht beizutreten. Nur wurde mir, bei diesen und ähnlichen, die eigentliche Metaphysik des Schönen betreffenden Ansichten Winckelmanns, die Wahrheit sehr deutlich, daß man die größte Empfänglichkeit und das richtigste Unheil über das Kunstschöne haben kann, ohne jedoch im Stande zu seyn, vom Wesen des Schönen und der Kunst abstrakte und eigentlich philosophische Rechenschaft zu geben: eben wie man sehr edel und tugendhaft seyn und ein sehr zartes, mit der Genauigkeit einer Goldwaage bei den einzelnen Fällen entscheidendes Gewissen haben kann, ohne deshalb im Stande zu seyn, die ethische Bedeutsamkeit der Handlungen philosophisch zu ergründen und in abstracto darzustellen.
Ein ganz anderes Verhältniß hat aber die Allegorie zur Poesie , als zur bildenden Kunst, und wenn gleich hier verwerflich, ist sie dort sehr zulässig und zweckdienlich. Denn in der bildenden Kunst leitet sie vom gegebenen Anschaulichen, dem eigentlichen Gegenstand aller Kunst, zu abstrakten Gedanken; in der Poesie ist aber das Verhältniß umgekehrt: hier ist das in Worten unmittelbar Gegebene der Begriff, und der nächste Zweck ist allemal von diesem auf das Anschauliche zu leiten, dessen Darstellung die Phantasie des Hörers übernehmen muß. Wenn in der bildenden Kunst vom unmittelbar Gegebenen auf ein Anderes geleitet wird, so muß dies immer ein Begriff seyn, weil hier nur das Abstrakte nicht unmittelbar gegeben werden kann; aber ein Begriff darf nie der Ursprung, und seine Mittheilung nie der Zweck eines Kunstwerkes seyn. Hingegen in der Poesie ist der Begriff das Material, das unmittelbar Gegebene, welches man daher sehr wohl verlassen darf, um ein gänzlich verschiedenes Anschauliches hervorzurufen, in welchem das Ziel erreicht wird. Im Zusammenhang einer Dichtung kann mancher Begriff, oder abstrakte Gedanke, unentbehrlich seyn, der gleichwohl an sich und unmittelbar gar keiner Anschaulichkeit fähig ist: dieser wird dann oft durch irgend ein unter ihn zu subsumirendes Beispiel zur Anschaulichkeit gebracht. Solches geschieht schon in jedem tropischen Ausdruck, und geschieht in jeder Metapher, Gleichniß, Parabel und Allegorie, welche alle nur durch die Länge und Ausführlichkeit ihrer Darstellung sich unterscheiden. In den redenden Künsten sind dieserwegen Gleichnisse und Allegorien von trefflicher Wirkung. Wie schön sagt Cervantes vom Schlaf, um auszudrücken, daß er uns allen geistigen und körperlichen Leiden entziehe, »er sei ein Mantel, der den ganzen Menschen bedeckt.« Wie schön drückt Kleist den Gedanken, daß Philosophen und Forscher das Menschengeschlecht aufklären, allegorisch aus, in dem Verse:
»Die, deren nächtliche Lampe den ganzen Erdball erleuchtet,«
Wie stark und anschaulich bezeichnet Homer die unheilbringende Ate, indem er sagt: »Sie hat zarte Füße, denn sie betritt nicht den harten Boden, sondern wandelt nur auf den Köpfen der Menschen« ( Il., XIX, 91). Wie sehr wirkte die Fabel des Menenius Agrippa vom Magen und den Gliedern auf das ausgewanderte Römische Volk. Wie schön drückt Plato's schon erwähnte Allegorie von der Höhle, im Anfang des siebenten Buches der Republik, ein höchst abstraktes philosophisches Dogma aus. Ebenfalls ist als eine tiefsinnige Allegorie von philosophischer Tendenz die Fabel von der Persephone anzusehn, die dadurch, daß sie in der Unterwelt einen Granatapfel kostet, dieser anheimfällt: solches wird besonders einleuchtend durch die allem Lobe unerreichbare Behandlung dieser Fabel, welche Goethe dem Triumph der Empfindsamkeit als Episode eingeflochten hat. Drei ausführliche allegorische Werke sind mir bekannt: ein offenbares und eingeständliches ist der unvergleichliche Criticon des Balthasar Gracian, welcher in einem großen reichen Gewebe an einander geknüpfter, höchst sinnreicher Allegorien besteht, die hier
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