Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Erkenntniß, d.i. der andern Seite der Welt, der Welt als Vorstellung. Jene sind das lebenerhaltende, der Zeit endloses Leben zusichernde Princip; in welcher Eigenschaft sie bei den Griechen im Phallus, bei den Hindu im Lingam verehrt wurden, welche also das Symbol der Bejahung des Willens sind. Die Erkenntniß dagegen giebt die Möglichkeit der Aufhebung des Wollens, der Erlösung durch Freiheit, der Ueberwindung und Vernichtung der Welt.
Wir haben schon am Anfang dieses vierten Buches ausführlich betrachtet, wie der Wille zum Leben in seiner Bejahung sein Verhältniß zum Tode anzusehn hat, dieser nämlich ihn nicht anficht, weil er als etwas selbst schon im Leben Begriffenes und dazu Gehöriges dasteht, dem sein Gegensatz, die Zeugung, völlig das Gleichgewicht hält und dem Willen zum Leben, trotz dem Tode des Individuums, auf alle Zeit das Leben sichert und verbürgt; welches auszudrücken die Inder dem Todesgott Schiwa den Lingam zum Attribut gaben. Wir haben daselbst auch ausgeführt, wie der mit vollkommener Besonnenheit auf dem Standpunkt entschiedener Bejahung des Lebens Stehende dem Tode furchtlos entgegensieht. Daher hier nichts mehr davon. Ohne klare Besonnenheit stehn die meisten Menschen auf diesem Standpunkt und bejahen fortdauernd das Leben. Als Spiegel dieser Bejahung steht die Welt da, mit unzähligen Individuen, in endloser Zeit und endlosem Raum, und endlosem Leiden, zwischen Zeugung und Tod ohne Ende. – Es ist hierüber jedoch von keiner Seite weiter eine Klage zu erheben: denn der Wille führt das große Trauer- und Lustspiel auf eigene Kosten auf, und ist auch sein eigener Zuschauer. Die Welt ist gerade eine solche, weil der Wille, dessen Erscheinung sie ist, ein solcher ist, weil er so will. Für die Leiden ist die Rechtfertigung die, daß der Wille auch auf diese Erscheinung sich selbst bejaht; und diese Bejahung ist gerechtfertigt und ausgeglichen dadurch, daß er die Leiden trägt. Es eröffnet sich uns schon hier ein Blick auf die ewige Gerechtigkeit , im Ganzen; wir werden sie weiterhin näher und deutlicher auch im Einzelnen erkennen. Doch wird zuvor noch von der zeitlichen oder menschlichen Gerechtigkeit geredet werden müssen 84 .
§ 61
Wir erinnern uns aus dem zweiten Buch, daß in der ganzen Natur, auf allen Stufen der Objektivation des Willens, nothwendig ein beständiger Kampf zwischen den Individuen aller Gattungen war, und eben dadurch sich ein innerer Widerstreit des Willens zum Leben gegen sich selbst ausdrückte. Auf der höchsten Stufe der Objektivation wird, wie alles Andere, auch jenes Phänomen sich in erhöhter Deutlichkeit darstellen und sich daher weiter entziffern lassen. Zu diesem Zweck wollen wir zunächst dem Egoismus , als dem Ausgangspunkt alles Kampfes, in seiner Quelle nachspüren.
Wir haben Zeit und Raum, weil nur durch sie und in ihnen Vielheit des Gleichartigen möglich ist, das principium individuationis genannt. Sie sind die wesentlichen Formen der natürlichen, d.h. dem Willen entsprossenen Erkenntniß. Daher wird überall der Wille sich in der Vielheit von Individuen erscheinen. Aber diese Vielheit trifft nicht ihn, den Willen als Ding an sich, sondern nur seine Erscheinungen: er ist in jeder von diesen ganz und ungetheilt vorhanden und erblickt um sich herum das zahllos wiederholte Bild seines eigenen Wesens. Dieses selbst aber, also das wirklich Reale, findet er unmittelbar nur in seinem Innern. Daher will Jeder Alles für sich, will Alles besitzen, wenigstens beherrschen, und was sich ihm widersetzt, möchte er vernichten. Hiezu kommt, bei den erkennenden Wesen, daß das Individuum Träger des erkennenden Subjekts und dieses Träger der Welt ist; d.h. daß die ganze Natur außer ihm, also auch alle übrigen Individuen, nur in seiner Vorstellung existiren, er sich ihrer stets nur als seiner Vorstellung, also bloß mittelbar und als eines von seinem eigenen Wesen und Daseyn Abhängigen bewußt ist; da mit seinem Bewußtsein ihm nothwendig auch die Welt untergeht, d.h. ihr Seyn und Nichtsein gleichbedeutend und ununterscheidbar wird. Jedes erkennende Individuum ist also in Wahrheit und findet sich als den ganzen Willen zum Leben, oder das Ansich der Welt selbst, und auch als die ergänzende Bedingung der Welt als Vorstellung, folglich als einen Mikrokosmos, der dem Makrokosmos gleich zu schätzen ist. Die immer und überall wahrhafte Natur selbst giebt ihm, schon ursprünglich und unabhängig von aller Reflexion, diese Erkenntniß einfach und
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