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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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unmittelbar gewiß. Aus den angegebenen beiden nothwendigen Bestimmungen nun erklärt es sich, daß jedes in der gränzenlosen Welt gänzlich verschwindende und zu Nichts verkleinerte Individuum dennoch sich zum Mittelpunkt der Welt macht, seine eigene Existenz und Wohlseyn vor allem Andern berücksichtigt, ja, auf dem natürlichen Standpunkte, alles Andere dieser aufzuopfern bereit ist, bereit ist die Welt zu vernichten, um nur sein eigenes Selbst, diesen Tropfen im Meer, etwas länger zu erhalten. Diese Gesinnung ist der Egoismus , der jedem Dinge in der Natur wesentlich ist. Eben er aber ist es, wodurch der innere Widerstreit des Willens mit sich selbst zur fürchterlichen Offenbarung gelangt. Denn dieser Egoismus hat seinen Bestand und Wesen in jenem Gegensatz des Mikrokosmos und Makrokosmos, oder darin, daß die Objektivation des Willens das principium individuationis zur Form hat und dadurch der Wille in unzähligen Individuen sich auf gleiche Weise erscheint und zwar in jedem derselben nach beiden Seiten (Wille und Vorstellung) ganz und vollständig. Während also jedes sich selber als der ganze Wille und das ganze Vorstellende unmittelbar gegeben ist, sind die übrigen ihm zunächst nur als seine Vorstellungen gegeben; daher geht ihm sein eigenes Wesen und dessen Erhaltung allen andern zusammen vor. Auf seinen eigenen Tod blickt Jeder als auf der Welt Ende, während er den seiner Bekannten als eine ziemlich gleichgültige Sache vernimmt, wenn er nicht etwan persönlich dabei betheiligt ist. In dem auf den höchsten Grad gesteigerten Bewußtsein, dem menschlichen, muß, wie die Erkenntniß, der Schmerz, die Freude, so auch der Egoismus den höchsten Grad erreicht haben und der durch ihn bedingte Widerstreit der Individuen auf das entsetzlichste hervortreten. Dies sehn wir denn auch überall vor Augen, im Kleinen wie im Großen, sehn es bald von der schrecklichen Seite, im Leben großer Tyrannen und Bösewichter und in weltverheerenden Kriegen, bald von der lächerlichen Seite, wo es das Thema des Lustspiels ist und ganz besonders im Eigendünkel und Eitelkeit hervortritt, welche, so wie kein Anderer, Rochefoucault aufgefaßt und in abstracto dargestellt hat: wir sehn es in der Weitgeschichte und in der eigenen Erfahrung. Aber am deutlichsten tritt es hervor, sobald irgend ein Haufen Menschen von allem Gesetz und Ordnung entbunden ist: da zeigt sich sogleich aufs Deutlichste das bellum omnium contra omnes , welches Hobbes, im ersten Kapitel de cive , trefflich geschildert hat. Es zeigt sich, wie nicht nur Jeder dem Andern zu entreißen sucht was er selbst haben will; sondern sogar oft Einer, um sein Wohlseyn durch einen unbedeutenden Zuwachs zu vermehren, das ganze Glück oder Leben des Andern zerstört. Dies ist der höchste Ausdruck des Egoismus, dessen Erscheinungen, in dieser Hinsicht, nur noch übertroffen werden von denen der eigentlichen Bosheit, die ganz uneigennützig den Schaden und Schmerz Anderer, ohne allen eigenen Vortheil, sucht; davon bald die Rede seyn wird. – Mit dieser Aufdeckung der Quelle des Egoismus vergleiche man die Darstellung desselben, in meiner Preisschrift über das Fundament der Moral, § 14.
    Eine Hauptquelle des Leidens, welches wir oben als allem Leben wesentlich und unvermeidlich gefunden haben, Ist, sobald es wirklich und in bestimmter Gestalt eintritt, jene Eris , der Kampf aller Individuen, der Ausdruck des Widerspruchs, mit welchem der Wille zum Leben im Innern behaftet ist, und der durch das principium individuationis zur Sichtbarkeit gelangt: ihn unmittelbar und grell zu veranschaulichen sind Thierkämpfe das grausame Mittel. In diesem ursprünglichen Zwiespalt liegt eine unversiegbare Quelle des Leidens, trotz den Vorkehrungen, die man dagegen getroffen hat, und welche wir sogleich näher betrachten werden.

§ 62

    Es ist bereits auseinandergesetzt, daß die erste und einfache Bejahung des Willens zum Leben nur Bejahung des eigenen Leibes ist, d.h. Darstellung des Willens durch Akte in der Zeit, in so weit schon der Leib, in seiner Form und Zweckmäßigkeit, den selben Willen räumlich darstellt, und nicht weiter. Diese Bejahung zeigt sich als Erhaltung des Leibes, mittelst Anwendung der eigenen Kräfte desselben. An sie knüpft sich unmittelbar die Befriedigung des Geschlechtstriebes, ja gehört zu ihr, sofern die Genitalien zum Leibe gehören. Daher ist freiwillige und durch gar kein Motiv begründete Entsagung der Befriedigung jenes Triebes schon ein Grad von

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