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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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unsere Gedanken über dieselbe, und machen oft uns ihr, oft sie uns unzugänglich. Nur bei Kindern und sehr rohen Menschen wird diese Vormauer bisweilen so dünn, daß um zu wissen, was in ihnen vorgeht, man nur zu sehn braucht, was um sie vorgeht. Daher auch sind die Thiere weder des Vorsatzes, noch der Verstellung fähig: sie haben nichts im Hinterhalt. In dieser Hinsicht verhält sich der Hund zum Menschen, wie ein gläserner zu einem metallenen Becher, und dies trägt viel bei ihn uns so werth zu machen: denn es gewährt uns ein großes Ergötzen, alle unsere Neigungen und Affekte, die wir so oft verhehlen, in ihm bloß und baar zu Tage gelegt zu sehn. Ueberhaupt spielen die Thiere gleichsam stets mit offen hingelegten Karten: daher sehn wir mit so vielem Vergnügen ihrem Thun und Treiben unter einander zu, sowohl wenn sie der selben, wie wenn sie verschiedenen Species angehören. Ein gewisses Gepräge von Unschuld charakterisirt dasselbe, im Gegensatz des menschlichen Thuns, als welches, durch den Eintritt der Vernunft, und mit ihr der Besonnenheit, der Unschuld der Natur entrückt ist. Dafür aber hat es durchweg das Gepräge der Vorsätzlichkeit, deren Abwesenheit, und mithin das Bestimmtwerden durch den augenblicklichen Impuls, den Grundcharakter alles thierischen Thuns ausmacht. Eines eigentlichen Vorsatzes nämlich ist kein Thier fähig; ihn zu fassen und zu befolgen ist das Vorrecht des Menschen, und ein höchst folgenreiches. Zwar kann ein Instinkt, wie der der Zugvögel, oder der der Bienen, ferner auch ein bleibender, anhaltender Wunsch, eine Sehnsucht, wie die des Hundes nach seinem abwesenden Herrn, den Schein des Vorsatzes hervorbringen, ist jedoch mit diesem nicht zu verwechseln. – Alles Dieses nun hat seinen letzten Grund in dem Verhältniß zwischen dem menschlichen und dem thierischen Intellekt, welches sich auch so ausdrücken läßt: die Thiere haben bloß eine unmittelbare Erkenntniß, wir neben dieser auch eine mittelbare ; und der Vorzug, den in manchen Dingen, z.B. in der Trigonometrie und Analysis, im Wirken durch Maschinen statt durch Handarbeit u.s.w., das Mittelbare vor dem Unmittelbaren hat, findet auch hier Statt. Diesemnach wieder kann man sagen: die Thiere haben bloß einen einfachen Intellekt, wir einen doppelten ; nämlich neben dem anschauenden noch den denkenden; und die Operationen beider gehn oft unabhängig von einander vor sich: wir schauen Eines an und denken an ein Anderes; oft wiederum greifen sie in einander. Diese Bezeichnung der Sache macht die oben erwähnte wesentliche Offenheit und Naivetät der Thiere, im Gegensatz der menschlichen Verstecktheit, besonders begreiflich.
    Inzwischen ist das Gesetz Natura non facit saltus auch in Hinsicht auf den Intellekt der Thiere nicht ganz aufgehoben; wenn gleich der Schritt vom thierischen zum menschlichen Intellekt wohl der weiteste ist, den die Natur, bei Hervorbringung ihrer Wesen, gethan hat. Eine schwache Spur von Reflexion, von Vernunft, von Wortverständniß, von Denken, von Vorsatz, von Ueberlegung, giebt sich in den vorzüglichsten Individuen der obersten Thiergeschlechter allerdings bisweilen kund, zu unserer jedesmaligen Verwunderung. Die auffallendesten Züge der Art hat der Elephant geliefert, dessen sehr entwickelter Intellekt noch durch die Uebung und Erfahrung einer bisweilen zweihundertjährigen Lebensdauer erhöht und unterstützt wird. Von Prämeditation, welche uns an Thieren stets am meisten überrascht, hat er öfter unverkennbare Zeichen gegeben, die daher in allbekannten Anekdoten aufbewahrt sind: besonders gehört dahin die von dem Schneider, an welchem er, wegen eines Nadelstiches, Rache nahm. Ich will jedoch ein Seitenstück derselben, weil es den Vorzug hat, durch gerichtliche Untersuchung beglaubigt zu seyn, hier der Vergessenheit entreißen. Zu Morpeth, in England, wurde, am 27. August 1830, eine Coroner's inquest gehalten, über den von seinem Elephanten getödteten Wärter Baptist Bernhard : aus dem Zeugenverhör ergab sich, daß er zwei Jahre vorher den Elephanten gröblich beleidigt und jetzt dieser, ohne Anlaß, aber bei günstiger Gelegenheit, ihn plötzlich gepackt und zerschmettert hatte. (Siehe den Spectator und andere Englische Zeitungen jener Tage.) Zur speciellen Kenntniß des Intellekts der Thiere empfehle ich das vortreffliche Buch des Leroy , Sur l'intelligence des animaux, nouv. éd. 1802.

Kapitel 6. Zur Lehre von der abstrakten, oder Vernunft-Erkenntniß
    Der äußere Eindruck

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