Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
sind. Dabei wird, besonders in den Kommentarien des Arrians, die Subreption begangen, daß Alles was ouk eph' hêmin ist (d.h. nicht von uns abhängt), sofort auch ou pros hêmas wäre (d.h. uns nichts angienge). Doch bleibt wahr, daß alle Güter des Lebens in der Macht des Zufalls stehn, mithin sobald er, diese Macht übend, sie uns entreißt, wir unglücklich sind, wenn wir unser Glück. darin gesetzt haben. Diesem unwürdigen Schicksal soll uns der richtige Gebrauch der Vernunft entziehn, vermöge dessen wir alle jene Güter nie als die unserigen betrachten, sondern nur als auf unbestimmte Zeit uns geliehen: nur so können wir sie eigentlich nie verlieren. Daher sagt Seneka (Ep. 98 ): Si, quid humanarum rerum varietas possit, cogitaverit, ante quam senserit , und Diogenes Laërtius (VII, I, 87): Ison de esti to kat' aretên zên tô kat' empeirian tôn physei symbainontôn zên . (Secundum virtutem vivere idem est, quod secundum experientiam eorum, quae secundum naturam accidunt, vivere.) Hieher gehört besonders die Stelle in Arrians Epiktetäischen Abhandlungen, B. III, Kap. 24, 84-89; und speciell, als Beleg des § 16 des ersten Bandes in dieser Hinsicht von mir Gesagten, die Stelle: Touto gar esti to aition tois anthrôpois pantôn tôn kakôn, to tas prolêpseis tas koinas mê dynasthai epharmozein tois epi merous , ibid. IV, 1. 42. (Haec enim causa est hominibus omnium malorum, quod anticipationes generales rebus singularibus accommodare non possunt.) Desgleichen die Stelle im Antoninus (IV, 29): Ei xenos kosmou ho mê gnôrizôn ta en autô onta, ouch hêtton xenos kai ho mê gnôrizôn ta giginomena , d.h.: »Wenn Der ein Fremdling in der Welt ist, welcher nicht weiß, was es darin giebt; so ist es nicht weniger Der, welcher nicht weiß, wie es darin hergeht.« Auch Seneka's elftes Kapitel De tranquillitate animi ist ein vollkommender Beleg dieser Ansicht. Die Meinung der Stoiker geht im Ganzen dahin, daß wenn der Mensch dem Gaukelspiel des Glückes eine Weile zugesehn hat und nun seine Vernunft gebraucht, er sowohl den schnellen Wechsel der Würfel, als die innere Werthlosigkeit der Rechenpfennige erkennen und daher fortan unbewegt bleiben müsse. Ueberhaupt läßt die Stoische Ansicht sich auch so ausdrücken: Unser Leiden entspringt allemal aus dem Mißverhältniß zwischen unsern Wünschen und dem Weltlauf. Daher muß Eines dieser Beiden geändert und dem Andern angepaßt werden. Da nun der Lauf der Dinge nicht in unserer Macht steht ( ouch eph' hêmin ); so müssen wir unser Wollen und Wünschen dem Lauf der Dinge gemäß einrichten: denn der Wille allein ist eph' hêmin . Dieses Anpassen des Wollens zum Laufe der Außenwelt, also zur Natur der Dinge, wird sehr oft unter dem vieldeutigen kata physin zên verstanden. Man sehe Arriani Diss., II, 17, 21, 22. Ferner bezeichnet diese Ansicht Seneka (Ep. 119), indem er sagt: Nihil interest, utrum non desideres, an habeas. Summa rei in utroque est eadem: non torqueberis. Auch Cicero (Tusc., IV, 26) , durch die Worte: Solum habere velle, summa dementia est. Desgleichen Arrian (IV, I, 1751) Ou gar ekplêrôsei tôn epithymoumenôn eleutheria paraskeuazetai, alla anaskeuê tês epithymias . (Non enim explendis desideriis libertas comparatur, sed tollenda cupiditate.)
Als Belege dessen, was ich am angeführten Orte über das homologoumenôs zên der Stoiker gesagt habe, kann man die in der Historia philosophiae Graeco-Romanae von Ritter und Preller , § 398, zusammengestellten Anführungen betrachten; desgleichen den Ausspruch des Seneka (Ep. 31 und nochmals Ep. 74): Perfecta virtus est aequalitas et tenor vitae per omnia consonans sibi. Den Geist der Stoa überhaupt bezeichnet deutlich diese Stelle des Seneka (Ep. 92): Quid est beata vita? Securitas et perpetua tranquillitas. Hanc dabit animi magnitudo, dabit constantia bene judicati tenax. Ein zusammenhängendes Studium der Stoiker wird Jeden überzeugen, daß der Zweck ihrer Ethik, eben wie der des Kynismus , aus welchem sie entsprungen, durchaus kein anderer ist, als ein möglichst schmerzloses und dadurch möglichst glückliches Leben; woraus folgt, daß die Stoische Moral nur eine besondere Art des Eudämonismus ist. Sie hat nicht, wie die Indische, die Christliche, selbst die Platonische Ethik, eine metaphysische Tendenz, einen transscendenten Zweck, sondern einen völlig immanenten, in diesem Leben erreichbaren: die Unerschütterlichkeit ( ataraxia ) und ungetrübte Glücksäligkeit des Weisen, den
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