Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Verachtung aller Uebrigen im Schilde führt:
Sapiens uno minor est Jove, dives,
Liber, honoratus, pulcher, rex denique regum.
Hor.
Hingegen trifft, dem Geiste der Sache nach, die Lebensansicht der Kyniker mit der des J. J. Rousseau , wie er sie im Discours sur l'origine de 1'inégalité darlegt, zusammen; da auch er uns zum rohen Naturzustande zurückführen möchte und das Herabsetzen unserer Bedürfnisse auf ihr Minimum als den sichersten Weg zur Glücksäligkeit betrachtet. – Uebrigens waren die Kyniker ausschließlich praktische Philosophen: wenigstens ist mir keine Nachricht von ihrer theoretischen Philosophie bekannt.
Aus ihnen giengen nun die Stoiker dadurch hervor, daß sie das Praktische in ein Theoretisches verwandelten. Sie meinten, das wirkliche Entbehren alles irgend Entbehrlichen sei nicht erfordert, sondern es reiche hin, daß man Besitz und Genuß beständig als entbehrlich und als in der Hand des Zufalls stehend betrachte: da würde denn die wirkliche Entbehrung, wenn sie etwan eintrete, weder unerwartet seyn, noch schwer fallen. Man könne immerhin Alles haben und genießen; nur müsse man die Ueberzeugung von der Werthlosigkeit und Entbehrlichkeit solcher Güter einerseits, und von ihrer Unsicherheit und Hinfälligkeit andererseits stets gegenwärtig erhalten, mithin sie alle ganz gering schätzen, und allezeit bereit seyn, sie aufzugeben. Ja, wer, um nicht durch jene Dinge bewegt zu werden, sie wirklich entbehren müsse, zeige dadurch an, daß er, in seinem Herzen, sie für wahre Güter halte, die man, um nicht danach lüstern zu werden, ganz aus seinem Gesichtskreis entfernen müsse. Der Weise hingegen erkenne, daß sie gar keine Güter seien, vielmehr ganz gleichgültige Dinge, adiaphora , allenfalls proêgmena . Daher wird er sie, wenn sie sich darbieten, annehmen, ist jedoch stets bereit, sie mit größter Gleichgültigkeit wieder fahren zu lassen, wenn der Zufall, dem sie angehören, sie zurückfordert; weil sie tôn ouk eph'hêmin sind. In diesem Sinne sagt Epiktet , Kap. 7, der Weise werde, gleich Einem, der vom Schiffe ans Land gestiegen u.s.w., sich auch ein Weibchen, oder Knäbchen gefallen lassen, dabei jedoch stets bereit seyn, sobald der Schiffer ruft, sie wieder gehn zu lassen. – So vervollkommneten die Stoiker die Theorie des Gleichmuths und der Unabhängigkeit, auf Kosten der Praxis, indem sie Alles auf einen mentalen Proceß zurückführten und durch Argumente, wie sie das erste Kapitel des Epiktet darbietet, sich alle Bequemlichkeiten des Lebens heransophisticirten. Sie hatten aber dabei außer Acht gelassen, daß alles Gewohnte zum Bedürfniß wird und daher nur mit Schmerz entbehrt werden kann; daß der Wille nicht mit sich spielen läßt, nicht genießen kann, ohne die Genüsse zu lieben; daß ein Hund nicht gleichgültig bleibt, indem man ihm ein Stück Braten durchs Maul zieht, und ein Weiser, wenn er hungerig ist, auch nicht; und daß es zwischen Begehren und Entsagen kein Mittleres giebt. Sie aber glaubten sich dadurch mit ihren Grundsätzen abzufinden, daß sie, an einer luxuriösen Römischen Tafel sitzend, kein Gericht ungekostet ließen, jedoch dabei versicherten, Das wären sammt und sonders bloße proêgmena , keine agatha ; oder, Deutsch zu reden, daß sie aßen, tranken und sich einen guten Tag machten, dabei aber dem lieben Gott keinen Dank dafür wußten, vielmehr fastidiöse Gesichter schnitten und nur immer brav versicherten, sie machten sich den Teufel etwas aus der ganzen Fresserei. Dies war das Auskunftsmittel der Stoiker : sie waren demnach bloße Maulhelden, und zu den Kynikern verhalten sie sich ungefähr, wie wohlgemästete Benediktiner und Augustiner zu Franziskanern und Kapuzinern. Je mehr sie nun die Praxis vernachlässigten, desto feiner spitzten sie die Theorie zu. Der am Schlusse unsers ersten Buches gegebenen Auseinandersetzung derselben will ich hier noch einige einzelne Belege und Ergänzungen beifügen.
Wenn wir in den uns hinterbliebenen Schriften der Stoiker, die alle unsystematisch abgefaßt sind, nach dem letzten Grunde jenes uns unablässig zugemutheten, unerschütterlichen Gleichmuthes forschen; so finden wir keinen andern, als die Erkenntniß der gänzlichen Unabhängigkeit des Weltlaufs von unserm Willen und folglich der Unvermeidlichkeit der uns treffenden Uebel. Haben wir nach einer richtigen Einsicht hierin unsere Ansprüche regulirt; so ist Trauern, Jubeln, Fürchten und Hoffen eine Thorheit, deren wir nicht mehr fähig
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