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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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für sich selbst, in objektiver Anschauung, wahr: in diesem Sinne ist es besonnen .
    Diese Besonnenheit ist es, welche den Maler befähigt, die Natur, die er vor Augen hat, treu auf der Leinwand wiederzugeben, und den Dichter, die anschauliche Gegenwart, mittelst abstrakter Begriffe, genau wieder hervorzurufen, indem er sie ausspricht und so zum deutlichen Bewußtseyn bringt; imgleichen Alles, was die Uebrigen bloß fühlen, in Worten auszudrücken. – Das Thier lebt ohne alle Besonnenheit. Bewußtseyn hat es, d.h. es erkennt sich und sein Wohl und Wehe, dazu auch die Gegenstände, welche solche veranlassen. Aber seine Erkenntniß bleibt stets subjektiv, wird nie objektiv: alles darin Vorkommende scheint sich ihm von selbst zu verstehn und kann ihm daher nie weder zum Vorwurf (Objekt der Darstellung), noch zum Problem (Objekt der Meditation) werden. Sein Bewußtseyn ist also ganz immanent . Zwar nicht von gleicher, aber doch von verwandter Beschaffenheit ist das Bewußtseyn des gemeinen Menschenschlages, indem auch seine Wahrnehmung der Dinge und der Welt überwiegend subjektiv und vorherrschend immanent bleibt. Es nimmt die Dinge in der Welt wahr, aber nicht die Welt; sein eigenes Thun und Leiden, aber nicht sich. Wie nun, in unendlichen Abstufungen, die Deutlichkeit des Bewußtseyns sich steigert, tritt mehr und mehr die Besonnenheit ein, und dadurch kommt es allmälig dahin, daß bisweilen, wenn auch selten und dann wieder in höchst verschiedenen Graden der Deutlichkeit, es wie ein Blitz durch den Kopf fährt, mit »was ist das Alles?« oder auch mit » wie ist es eigentlich beschaffen?« Die erstere Frage wird, wenn sie große Deutlichkeit und anhaltende Gegenwart erlangt, den Philosophen, und die andere, eben so, den Künstler oder Dichter machen. Dieserhalb also hat der hohe Beruf dieser Beiden seine Wurzel in der Besonnenheit, die zunächst aus der Deutlichkeit entspringt, mit welcher sie der Welt und ihrer selbst inne werden und dadurch zur Besinnung darüber kommen. Der ganze Hergang aber entspringt daraus, daß der Intellekt, durch sein Uebergewicht, sich vom Willen, dem er ursprünglich dienstbar ist, zu Zeiten losmacht.
    Die hier dargelegten Betrachtungen über das Genie schließen sich ergänzend an die im 22. Kapitel enthaltene Darstellung des in der ganzen Reihe der Wesen wahrnehmbaren, immer weitern Auseinandertretens des Willens und des Intellekts . Dieses eben erreicht im Genie seinen höchsten Grad, als wo es bis zur völligen Ablösung des Intellekts von seiner Wurzel, dem Willen, geht, so daß der Intellekt hier völlig frei wird, wodurch allererst die Welt als Vorstellung zur vollkommenen Objektivation gelangt. –
    Jetzt noch einige die Individualität des Genies betreffende Bemerkungen. – Schon Aristoteles hat, nach Cicero (Tusc., I, 33) , bemerkt, omnes ingeniosos melancholicos esse ; welches sich, ohne Zweifel, auf die Stelle in des Aristoteles Problemata, 30, I, bezieht. Auch Goethe sagt:

    Meine Dichtergluth war sehr gering,
    So lang ich dem Guten entgegenging:
    Dagegen brannte sie lichterloh,
    Wann ich vor drohendem Uebel floh. –
    Zart Gedicht, wie Regenbogen,
    Wird nur auf dunkeln Grund gezogen:
    Darum behagt dem Dichtergenie
    Das Element der Melancholie.

    Dies ist daraus zu erklären, daß, da der Wille seine ursprüngliche Herrschaft über den Intellekt stets wieder geltend macht, dieser, unter ungünstigen persönlichen Verhältnissen, sich leichter derselben entzieht; weil er von widerwärtigen Umständen sich gern abwendet, gewissermaaßen um sich zu zerstreuen, und nun mit desto größerer Energie sich auf die fremde Außenwelt richtet, also leichter rein objektiv wird. Günstige persönliche Verhältnisse wirken umgekehrt. Im Ganzen und Allgemeinen jedoch beruht die dem Genie beigegebene Melancholie darauf, daß der Wille zum Leben, von je hellerem Intellekt er sich beleuchtet findet, desto deutlicher das Elend seines Zustandes wahrnimmt. – Die so häufig bemerkte trübe Stimmung hochbegabter Geister hat ihr Sinnbild am Montblanc , dessen Gipfel meistens bewölkt ist; aber wann bisweilen, zumal früh Morgens, der Wolkenschleier reißt und nun der Berg vom Sonnenlichte roth, aus seiner Himmelshöhe über den Wolken, auf Chamouni herabsieht; dann ist es ein Anblick, bei welchem Jedem das Herz im tiefsten Grunde aufgeht. So zeigt auch das meistens melancholische Genie zwischendurch die schon oben geschilderte, nur ihm mögliche, aus der vollkommensten Objektivität des

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