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Die Welt ist nicht immer Freitag

Titel: Die Welt ist nicht immer Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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angegangen war.
    Wenn ich etwas unbedingt von mir selbst erledigt haben will, habe ich nämlich eine absolut sichere Methode. Ich hänge in jede Ecke meiner Wohnung Zettel, auf denen steht, was ich jetzt aber mal dringend machen muß. Diese Zettel nerven mit der Zeit so dermaßen, daß der Effekt früher oder später eintritt.
    Zur Zeit hängen in meiner Wohnung ca. 60 bis 70 Zettel mit der Aufschrift: »Mensch Horst, jetzt mach aber mal deine Steuererklärung! Los! Los! Los! Mach! Mach! Mann, wird das bald mal was! Hopp! Hopp! Hopp! Nich immer alles verschluren, du Pappnase! Muß doch nicht immer auf den letzten Drücker! Außerdem is 1997 jetzt lange vorbei! Es wird Zeit! Mensch! Mensch! Mensch! Also Hopp!«
    Diese Zettel sind die Hölle. Das hält keiner lange aus. Auch ich nicht. Deshalb war ich jetzt auch seit neun Tagen nicht mehr in meiner Wohnung. Dabei hatte ich sogar schon angefangen. Soll heißen: Ich habe die ca. 2 Millionen Quittungen, Belege und sonstiges Zeug der letzten drei Jahre über Schreibtisch, Tisch und Fußboden ausgeschüttet, dann vier Stunden lang fassungs- und regungslos diese Papierberge angestarrt, bis ich dachte: Jetzt ist mal Zeit für ne Pause, eine Pizza bestellt, die ich, weil alles voll lag, auf dem Fußboden essen mußte, aber nur zur Hälfte geschafft habe, weil ich den Anblick meiner privaten Eiger-Nordwand nicht mehr ertragen konnte und fluchtartig die Wohnung verlassen mußte.
    Das war, wie gesagt, vor neun Tagen. Die erste Woche habe ich noch wie zufällig bei Freunden übernachtet. Jede Nacht bei einem anderen. Als die aber anfingen, darüber untereinander zu sprechen, und langsam mißtrauisch wurden, wollte ich die nächsten Nächte mit One-night-stands überbrücken. Hat aber nicht geklappt, weil ich ja seit mehr als einer Woche dieselben Sachen anhatte und in ganz Berlin einfach keine Frau zu finden war, die ausreichend verschnupft gewesen wäre, um das nicht zu bemerken. Pech, wenn man mal ne Grippewelle braucht, is natürlich keine da.
    Habe dann statt dessen die weiteren Nächte in Nachtbussen geschlafen. Da kommt man ganz schön rum. Hab mir zwischendrin endlich mal Malchow-Dorfstraße und Kladow-Hottengrund angesehn. Naja, schon ganz schön, aber richtig viel is da nachts auch nicht los. Man sieht ja auch nix, muß ich nicht unbedingt nochmal hin.
    Deshalb sitze ich jetzt am Ende des neunten Tages in meiner Unterhose im Waschsalon und schaue meiner Wäsche beim Gewaschenwerden zu. Denke, so kann's nicht weitergehen, jetzt muß mal was passiern. Schlimmer kann's nicht mehr werden. Ach guck, das rote Hemd färbt immer noch ab. Die acht neugekauften weißen Unterhosen, leuchten schon in einem zarten Rosa.
    Vielleicht sollte ich eine Wohnungstauschanzeige aufgeben. Bestimmt hat doch irgend jemand in dieser Stadt dasselbe Problem wie ich. Aber warum sitzt der denn jetzt nicht in seiner Unterhose in diesem Waschsalon neben mir? Naja, sitzt wahrscheinlich in einem anderen Waschsalon. Oder ist dem etwa sein Gestank egal. Na ganz toll. Na das wird ja ne Wohnung sein, so ungepflegt wie der is. Aber wär ja nur auf Zeit, nur für so lange, bis wir uns beide in der Lage fühlen, unser jeweiliges Problem anzugehen. Also höchstens für fünf, sechs Jahre denk ich mal. Gute Idee. Aber um die Anrufe auf meine Anzeige entgegenzunehmen, müßte ich in meiner Wohnung sein. Verdammt. Ein Teufelskreis.
    Draußen ist es schon dunkel. Beschließe, wenn die Wäsche trocken ist, einfach in meine Wohnung zu gehen. Ich darf nur kein Licht anmachen. Dann sehe ich die Zettel und alles gar nicht.
    Zweieinhalb Stunden später komme ich in meine Wohnung. Damit mich die Zettel nicht bemerken, ziehe ich im Flur meine Schuhe aus und tapse auf Zehenspitzen in die Wohnung. Super, es ist so dunkel, ich kann absolut nix sehen. Ich wundere mich kurz, daß ich auf einmal Teppichboden im Zimmer habe. Aber ein stechender Geruch hilft meiner Erinnerung. Die Pizza. Ich bin drin. Mit den frischgewaschenen Socken. Mist, wenn ich sonst Pizza auf dem Boden habe, ziehe ich immer extra alte Socken an. Dann ärgert man sich nicht so, wenn man reintritt.
    Auf dem Anrufbeantworter blinken 14! Anrufe. Holla, da guck, ich bin doch ein gefragter Mann, haha! Und da klingelt das Telefon schon wieder. Hoi, hoi, hoi! Aber wo ist das blöde Ding? Sehe nix. Das Klingeln kommt irgendwo aus der Tiefe des Raumes. Rufe zum Telefon: »Komme schon!«, warum weiß ich nicht, aber ich mache das immer. Schlurfe dann mit meinem Pizzafuß

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