Herzkurven
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Kapitel 1
A ls Daneka Lawton um sechs Uhr morgens von ihrem Radiowecker mit Lily Allens »Smile« geweckt wurde, ahnte sie nicht, dass ihre persönliche Nemesis gerade am Auckland Airport einer 747 entstiegen war.
Mühsam öffnete sie die Augen und verfluchte den Wecker. Lächeln war bei ihr im Moment nicht gerade an der Tagesordnung. Ihre Zwillingsschwester Daniella war vor sechs Monaten im Alter von zweiunddreißig Jahren gestorben und hatte Danny zurückgelassen – mit der Verantwortung für ihren elfjährigen Neffen Matt, seine achtjährige Schwester Mia, einem Haufen Schulden und einem Haus, das ihr über dem Kopf zerbröselte wie ein schimmliger Kuchen. Danny war von dem Tod ihrer Schwester immer noch aus der Bahn geworfen und hatte sich noch nicht ansatzweise damit abgefunden. Wie es schien, war die Tatsache für ihr Hirn einfach nicht zu verarbeiten, ähnlich Einsteins Relativitätstheorie.
Nellas Tod wäre vermeidbar gewesen. Ihre Mutter, Rose, war an Brustkrebs gestorben, als die Schwestern neunzehn waren, also wussten die Mädchen, dass bei ihnen das Risiko erhöht war, ebenfalls daran zu erkranken. Danny war regelmäßig zu ihren Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen gegangen und hatte gedacht, dass ihre Schwester das auch tat. Aber Nella hatte die Briefe weggeworfen und den Knoten in ihrer Brust einfach ignoriert. Als Danny schließlich verstand, dass ihre Schwester krank war, war es schon zu spät. Wie ihre Mutter hatte Nella ihr gesamtes Leben damit verbracht, allem auszuweichen, was unangenehm sein konnte, und es Danny überlassen, in der realen Welt zu leben und alle Familienkämpfe auszufechten.
Aber das war ein Kampf gewesen, den Danny nicht gewinnen konnte.
Als sie in ihrem Beruf als Krankenschwester in der örtlichen Notaufnahme einen langen Urlaub einreichte, um ihre Schwester zu pflegen, ließ Nella nicht zu, dass sie ihren amerikanischen Lebensgefährten Patrick Fabello kontaktierte, um ihm von der Krebserkrankung zu erzählen.
»Ich will nicht, dass er mich so sieht«, hatte sie erklärt. »Er würde es hassen.«
In Dannys Augen war Nellas Beziehung mit ihrem verantwortungslosen, verschwenderischen Liebhaber sehr einseitig. Patricks Besuche in Neuseeland waren unregelmäßig und kurz, und manchmal hörte Nella monatelang nichts von ihm. Danny vermutete, dass Patrick nur auftauchte, wenn er nichts Besseres zu tun hatte und gerade nirgendwo anders willkommen war.
»Arbeitet er überhaupt jemals?«, hatte sie gefragt.
»Ich glaube, seine Familie hat Geld«, antwortete Nella vage. »Du machst dir zu viele Gedanken um materielle Dinge.«
»Und du nicht genug.«
Wie eine Gewächshauspflanze, die ständige Pflege und jede Menge Dünger benötigt, brauchte Patrick jemanden, der ihm ununterbrochen den Bauch pinselte und ihn in seiner Meinung bestärkte, der Mittelpunkt des Universums zu sein. Er brauchte auch einen übergroßen Plasmafernseher, einen Fitnessraum und einen Whirlpool.
»Warum?«, hatte Danny ihn gefragt, als Nella ihm ihr weniges Erspartes übergab, um den Whirlpool zu kaufen. »Du bist nie hier, um ihn zu benutzen.«
»Er ist nicht nur für mich, sondern für die ganze Familie«, meinte Patrick.
Nella hatte sich nervös in der Nähe herumgetrieben und offenbar versucht zu entscheiden, ob sie ihn verteidigen oder sich lieber im Garten verstecken sollte. Niemand mit auch nur drei Gehirnzellen legte sich mit ihrer acht Minuten jüngeren Schwester an. Dannys Hirn sprintete, wo das von anderen Leuten nur joggte, und ihre Zunge war scharf wie ein Skalpell, was ihre Gegner rot anlaufen ließ und zum Stottern brachte.
Danny hob die Augenbrauen und schürzte die Oberlippe. Patrick fing an zu schwitzen. Er hasste Nellas Schwester. Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. »Ich nehme meine persönliche Fitness sehr ernst.«
Eine Augenbraue wanderte noch höher, wie ein spöttisches Fragezeichen. Patrick nahm seine gesamte persönliche Erscheinung sehr ernst – Danny nahm an, dass er in einem vorherigen Leben ein Supermodel gewesen war. »Die einzigen Körperteile, die ich je im Training sehe, sind dein Daumen auf der Fernbedienung und der Arm, der den Föhn schwenkt – der bekommt wirklich jede Menge Training.«
Lange schwarze Locken hingen über Patricks Schultern – Danny hatte auf Nellas Drängen hin gerade erst aufgehört, ihn d’Artagnan zu nennen.
Patrick bekam einen Wutanfall und drohte damit zu gehen.
Nella brach in Tränen aus. »Hör auf! Warum musst du immer
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