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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Titel: Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Was konnte da Schlimmes noch geschehen? Da waren meine Bücher: konnte sie jemand zunichte machen? (So dachte ich ahnungslos in dieser Stunde.) Da mein Haus – konnte mich jemand aus ihm vertreiben? Da meine Freunde – konnte ich sie jemals verlieren? Ich dachte ohne Angst an Tod, an Krankheit, aber auch nicht das entfernteste Bild dessen kam mir in den Sinn, was zu erleben mir noch bevorstand, daß ich heimatlos, gehetzt, gejagt als Ausgetriebener noch einmal von Land zu Land, über Meere und Meere würde wandern müssen, daß meine Bücher verbrannt, verboten, geächtet werden sollten, mein Name in Deutschland wie der eines Verbrechers angeprangert und dieselben Freunde, deren Briefe und Telegramme vor mir auf dem Tisch lagen, erblassen würden, wenn sie mir zufällig begegneten. Daß ausgelöscht werden könnte ohne Spur alles, was dreißig und vierzig Jahre beharrlich geleistet, daß all dies Leben, aufgebaut, fest und scheinbar unerschütterlich, wie es vor mir stand, in sich zerfallen könnte und daß ich nahe dem Gipfel gezwungen sein würde, mit schon leicht ermüdenden Kräften und verstörter Seele noch einmal von Anfang zu beginnen. Wahrhaftig, es war kein Tag, so Unsinniges und Absurdes sich auszuträumen. Ich konnte zufrieden sein. Ich liebte meine Arbeit und liebte darum das Leben. Ich war vor Sorge geschützt; selbst wenn ich keine Zeile mehr schrieb, sorgten meine Bücher für mich. Alles schien erreicht, das Schicksal gebändigt. Die Sicherheit, die ich in der Frühzeit meines Elternhauses gekannt und die im Kriege verlorengegangen war, sie war wiedergewonnen aus eigener Kraft. Was blieb noch zu wünschen?
    Aber sonderbar – gerade daß ich in dieser Stunde nichts zu wünschen wußte, schuf mir ein geheimnisvolles Unbehagen. Wäre es wirklich gut, fragte etwas in mir – ich war es nicht selbst –, wenn dein Leben so weiterginge, so windstill, so geregelt, so einträglich, so bequem, so ohne neue Anspannung und Prüfung? Ist sie dir, ist sie dem Wesentlichen in dir nicht eher unzugehörig, diese privilegierte, ganz in sich gesicherte Existenz? Ich ging nachdenklich durch das Haus. Es war schön geworden in diesen Jahren und genau so wie ich es gewollt. Aber doch, sollte ich immer hier leben, immer an demselben Schreibtisch sitzen und Bücher schreiben, ein Buch und noch ein Buch und dann die Tantiemen empfangen und noch mehr Tantiemen, allmählich ein würdiger Herr werdend, der seinen Namen und sein Werk mit Anstand und Haltung zu verwalten hat, abgeschieden schon von allem Zufälligen, allen Spannungen und Gefahren? Sollte es immer so weitergehen bis sechzig, bis siebzig in geradem, glattem Geleise? Wäre es nicht besser für mich – so träumte es in mir weiter –, etwas anderes käme, etwas Neues, etwas das mich unruhiger, gespannter, das mich jünger machte, indem es mich herausforderte zu neuem und vielleicht noch gefährlicherem Kampf? Immer haust ja in jedem Künstler ein geheimnisvoller Zwiespalt: wirft ihn das Leben wild herum, so sehnt er sich nach Ruhe; aber ist ihm Ruhe gegeben, so sehnt er sich in die Spannungen zurück. So hatte ich an diesem fünfzigsten Geburtstage im tiefsten nur den einen frevlerischen Wunsch: etwas möchte geschehen, das mich noch einmal wegrisse von diesen Sicherheiten und Bequemlichkeiten, das mich nötigte, nicht bloß fortzusetzen, sondern wieder anzufangen. War es Angst vor dem Alter, vor dem Müdesein, vor dem Trägewerden? Oder war es geheimnisvolle Ahnung, die mich damals ein anderes, ein härteres Leben um der inneren Entfaltung willen begehren ließ? Ich weiß es nicht.
    Ich weiß es nicht. Denn was in dieser sonderlichen Stunde aus dem Dämmer des Unbewußten aufstieg, war gar kein deutlich ausgesprochener Wunsch und sicherlich nichts, was dem wachen Willen verbunden war. Es war bloß ein flüchtiger Gedanke, der mich anwehte, vielleicht gar nicht mein eigener Gedanke, sondern einer, der aus Tiefen kam, um die ich nicht wußte. Aber die dunkle Macht über meinem Leben, sie, die unfaßbare, die mir so vieles schon erfüllt, was ich selbst nie zu wünschen mich erdreistet, mußte ihn vernommen haben. Und schon hob sie folgsam die Hand, um mir mein Leben bis ins letzte Fundament zu zerschlagen und mich zu nötigen, aus seinen Trümmern ein völlig anderes, ein härteres und schwereres, von Grund auf neu aufzubauen.

Incipit Hitler
    Es bleibt ein unumstößliches Gesetz der Geschichte, daß sie gerade den Zeitgenossen versagt, die großen

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