Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Verpflichtung. Wer in diesen erlesenen Kreis trat, mußte Zucht und Zurückhaltung an sich üben, durfte keinerlei literarische Leichtfertigkeit, keine journalistische Eilfertigkeit je sich zuschulden kommen lassen, denn das Signet des Insel-Verlages auf einem Buche bekräftigte von vorneweg für Tausende und späterhin Hunderttausende ebenso Garantie innerer Qualität wie vorbildlicher drucktechnischer Vollendung.
Nun kann einem Autor nichts Glücklicheres geschehen, als jung auf einen jungen Verlag zu stoßen und mit ihm gemeinsam in Wirkung zu wachsen; nur solche gemeinsame Entfaltung schafft eigentlich eine organische Lebensbedingung zwischen ihm, seinem Werk und der Welt. Mit dem Leiter des Insel-Verlags, Professor Kippenberg, verband mich bald herzliche Freundschaft, die noch verstärkt wurde durch beiderseitiges Verständnis für unsere privaten Sammelleidenschaften, denn Kippenbergs Goethesammlung entfaltete sich parallel mit dem Aufstieg meiner Autographensammlung in diesen dreißig gemeinsamen Jahren zur monumentalsten, die je einem Privaten gelungen. Ich fand bei ihm wertvolle Beratung und ebensooft wertvolle Abmahnung, konnte ihm anderseits wiederum durch meine besondere Übersicht über die ausländische Literatur wichtige Anregungen geben; so ist die Insel-Bücherei, die mit ihren vielen Millionen Exemplaren gleichsam eine gewaltige Weltstadt um den ursprünglichen ›elfenbeinernen Turm‹ gebaut und die ›Insel‹ zum repräsentativsten deutschen Verlag gemacht hat, auf einen Vorschlag von mir entstanden. Nach dreißig Jahren fanden wir uns anders, als wir begonnen: das schmale Unternehmen einer der mächtigsten Verlage, der anfangs nur in kleinerem Kreise wirksame Autor immerhin einer der gelesensten Deutschlands. Und wirklich, eine Weltkatastrophe und brutalste Gesetzesgewalt waren nötig, diese für uns beide gleich glückliche und selbstverständliche Verbindung zu lösen. Ich muß gestehen, daß es mir leichter war, Haus und Heimat zu verlassen, als nicht mehr das vertraute Signet auf meinen Büchern zu sehen. Nun war die Bahn offen. Ich hatte fast unziemlich früh begonnen zu publizieren und doch innerlich die Überzeugung, mit sechsundzwanzig Jahren noch keine wirklichen Werke geschaffen zu haben. Was die schönste Errungenschaft meiner jungen Jahre gewesen, der Umgang und die Freundschaft mit den besten schöpferischen Menschen der Zeit, wirkte sich im Produktiven merkwürdigerweise als gefährliche Hemmung aus. Ich hatte zu gut gelernt, um wirkliche Werte zu wissen; das machte mich zaghaft. Dank dieser Mutlosigkeit beschränkte sich alles, was ich bisher außer Übertragungen veröffentlicht, in vorsichtiger Ökonomie auf kleines Format wie Novellen und Gedichte; einen Roman zu beginnen, hatte ich noch lange nicht den Mut (es sollte noch fast dreißig Jahre dauern). Das erste Mal, daß ich mich an eine breitere Form wagte, war im Dramatischen, und gleich mit diesem ersten Versuch begann eine große Versuchung, der nachzugeben mich mancherlei günstige Zeichen drängten. Ich hatte 1905 oder 1906 während des Sommers ein Stück geschrieben – im Stile unserer Zeit selbstverständlich ein Versdrama, und zwar antikischer Art. Es hieß ›Thersites‹; zu sagen, wie ich heute über dies nur formal noch gültige Stück denke, erübrigt sich durch die Tatsache, daß ich es – wie fast alle meine Bücher vor dem zweiunddreißigsten Jahr – nie mehr neu drucken ließ. Immerhin kündigte dieses Drama schon einen gewissen persönlichen Zug meiner inneren Einstellung an, die unweigerlich nie die Partei der sogenannten ›Helden‹ nimmt, sondern Tragik immer nur im Besiegten sieht. In meinen Novellen ist es immer der dem Schicksal Unterliegende, der mich anzieht, in den Biographien die Gestalt eines, der nicht im realen Raume des Erfolgs, sondern einzig im moralischen Sinne recht behält, Erasmus und nicht Luther, Maria Stuart und nicht Elisabeth, Castellio und nicht Calvin; so nahm ich auch damals nicht Achill als die heroische Figur, sondern den unscheinbarsten seiner Gegenspieler, Thersites – den leidenden Menschen statt jenes, der durch seine Kraft und Zielsicherheit den andern Leiden erschafft. Das beendete Drama einem Schauspieler zu zeigen, selbst einem befreundeten, unterließ ich, immerhin schon weltklug genug, um zu wissen, daß Dramen in Blankversen und in griechischen Kostümen, selbst wenn von Sophokles oder Shakespeare, nicht geeignet sind, auf der realen Bühne ›Kassa zu
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