Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
Die Gedanken sind frei
„Mama, Mama. Du musst aufstehen! Ich habe Hunger“, schreit meine 2jährige Lena ihren Weckruf am Samstagmorgen laut in mein Ohr und zupft dabei unermüdlich an der Decke.
„Papa steht heute auf. Mama muss mal ausschlafen und hat Kopfschmerzen“, stöhne ich.
„Nein, nicht der Papa. Du musst kommen, Mama“, quakt sie weiter und Sara, ihre 5-jährige Schwester, die nun ebenfalls ihren Kopf zur Tür reinsteckt, schmeißt noch ein paar Tropfen Hysterie in die Pfanne. „Ich habe so schrecklichen Hunger. Mama, bitte. Ich bin schon ganz lange wach.“
Sie gewinnen immer, alle drei. Mein Kopf kann keine weitere Quengelei ertragen und benötigt dringend Aspirin und Flüssigkeit. Mit neidischem Blick auf meinen schnarchenden Mann Bernd, dessen Unterbewusstsein nur auf Autoalarmsysteme und auf „es gibt Frühstück“-Rufe programmiert ist, schlüpfe ich in meine Klamotten, schnappe meine Brille und melde mich zur Frühschicht.
„Ich will warmen Kakao und ein Nutellatoast, aber ohne Butter“, kommandiert Sara.
„Auch warmen Kakao“, jammert Lena.
„Clouseau hat Hunger“, kräht Sara und der Kater gibt zustimmend ein „Miau“ von sich. Es ist schon bedauernswert, dass es die gute alte Dalli Dalli Sendung mit Hänschen Rosenthal nicht mehr gibt. Ich wäre eine prima Kandidatin. Trotz Dröhnkopfes, bewege ich mich flink zwischen Mikrowelle, Toaster, Kühlschrank, Anrichte und Vorratsschrank, versuche mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und zaubere in Nullkommanix die Erstmahlzeit auf Tisch und Futternapf. Herr Rosenthal würde jetzt in die Luft springen und ein „das war Spitze“ rufen, während die rote Sirene sich wie irre drehen würde.
Alle sind versorgt und ich mache mich auf die Suche nach Kopfschmerztabletten. In dem feinsäuberlich sortierten Arzneischränkchen steht die Großpackung Aspirin. War klar – leer. Bernd findet Einkaufszettel überflüssig. Sind leere Packungen doch praktische Gedächtnisstützen, und so zeitsparend. Notgedrungen vergreife ich mich an dem übelschmeckenden Paracetamolsaft der Kinder und schüttele mich angeekelt, als der künstlich süß-bittere Saft meinen Magen passiert. Immer noch besser als eine doppelte Portion Kinderzäpfchen. Zum Nachspülen gibt es einen Mix aus einem Glas 100% Orangensaft mit einer Messerspitze Vitamin C Pulver, ein Beutel Frauenvitamingranulat mit viel Folsäure und fünfundzwanzig Tropfen meiner lebensnotwendigen, nervenausgleichenden, pflanzlichen Beruhigungstropfen. Ohne dieses Potpourri überstehe ich keinen Tag.
Der Kühlschrankcheck zeigt, dass ich um einen kleinen Samstageinkauf nicht herum komme.
„Anziehen, Waschen, wir gehen schnell zu Krügers einkaufen“, treibe ich die Kinder an.
„Aber nur, wenn ich mir da was aussuchen darf.“
Sara hat das herrschende Prinzip in unserer Familie schon früh durchschaut. Keine Leistung ohne Gegenleistung.
Ich kontere. „Okay, eine Kleinigkeit. Aber nur, wenn du das stinkige Ding zuhause lässt und dich vernünftig anziehst.“
„Meinen Umhang? Nie. Der muss mit. Ich bin doch sonst kein Vampir.“
„Ich habe noch eine ganze Kiste deiner alten Kinderbücher auf dem Speicher. Soll ich die mal für Sara mitbringen? Kann sie doch später alles noch lesen“, sagte meine Mutter vor ein paar Wochen. Am nächsten Tag stand der verstaubte Karton in unserem Wohnzimmer. Zwischen Hanni und Nanni Band Eins bis Zwölf, Lissy im Internat und den Dolly Büchern entdeckte Sara die ersten zwei Bände vom kleinen Vampir. Das Buchcover erweckte sofort ihr Interesse und ich versprach, ihr noch am gleichen Abend vorzulesen.
Die Internatsbücher lagerte ich im Keller und werde sie bei der nächsten Leerung der blauen Tonne entsorgen. Nicht auszudenken, wenn Sara in ein paar Jahren dieser Schund in die Hände fällt. Der zehnjährige Nachbarsjunge von nebenan geht auf ein Elite Internat in Schleswig Holstein, spricht inzwischen zwei Fremdsprachen. Bernd, davon schwer beeindruckt, erkundigte sich letztens auffallend genau über das Schulsystem dort. Mit Enid Blyton im Rücken hätte er bei Sara leichtes Spiel. Meine Tochter wäre nicht die erste, die der heilen Welt von Lindenhof verfallen würde. Das musste mit allen Mitteln verhindert werden.
Da waren Vampire das kleinere Übel. Anton, der Menschenjunge in der Geschichte, bekommt eines Tages Besuch vom kleinen Vampir Rüdiger. Mit einem geliehenen Vampirumhang kann Anton fliegen und erlebt
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