Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
machen‹. Nur der Form halber ließ ich ein paar Exemplare an die großen Theater schicken und vergaß dann ganz diesen Auftrag.
Wie groß war darum meine Überraschung, nach etwa drei Monaten einen Brief zu erhalten, dessen Umschlag den Aufdruck ›Königliches Schauspielhaus Berlin‹ zeigte. Was kann das preußische Staatstheater von mir wollen, dachte ich. Zu meiner Überraschung teilte mir der Direktor Ludwig Barnay, vormals einer der größten Schauspieler, mit, das Stück habe ihm stärksten Eindruck gemacht und sei ihm deshalb besonders willkommen, weil im Achill endlich die langgesuchte Rolle für Adalbert Matkowsky gefunden sei; er bitte mich also, die Erstaufführung dem Königlichen Schauspielhaus in Berlin zu übertragen.
Ich erschrak beinahe vor Freude. Die deutsche Nation hatte damals zwei große Schauspieler, Adalbert Matkowsky und Josef Kainz; der erste, ein Norddeutscher, unerreicht durch die elementare Wucht seines Wesens, seine hinreißende Leidenschaft – der andere, unser Wiener Josef Kainz, beglückend durch seine geistige Grazie, seine nie mehr erreichte Sprechkunst, die Meisterschaft des schwingenden wie des metallischen Worts. Nun sollte Matkowsky meine Gestalt verlebendigen, meine Verse sprechen, das angesehenste Theater der Hauptstadt des Deutschen Reiches meinem Drama Patendienste leisten – eine dramatische Karriere unvergleichlicher Art schien sich mir, der sie nicht gesucht hatte, zu eröffnen.
Aber sich nie einer Aufführung erwartungsvoll zu freuen, ehe sich nicht wirklich der Vorhang hebt, habe ich seitdem gelernt. Zwar begannen tatsächlich die Proben, eine nach der andern, und Freunde versicherten mir, daß Matkowsky nie großartiger, nie männlicher gewesen als auf diesen Proben, da er meine Verse sprach. Schon hatte ich den Schlafwagenplatz nach Berlin bestellt, da kam in letzter Stunde ein Telegramm: Verschiebung wegen Erkrankung Matkowskys. Ich hielt es für einen Vorwand, wie er beim Theater üblich ist, wenn man einen Termin oder ein Versprechen nicht einhalten kann. Aber acht Tage später brachten die Zeitungen die Nachricht, Matkowsky sei gestorben. Meine Verse waren die letzten gewesen, die seine wunderbar beredten Lippen gesprochen.
Erledigt, sagte ich mir. Vorbei. Zwar wollten jetzt zwei andere Hoftheater von Rang, Dresden und Kassel, das Stück; innerlich jedoch war mein Interesse erlahmt. Nach Matkowsky mochte ich keinen andern Achill mir denken. Aber da kam eine noch verblüffendere Nachricht: ein Freund weckte mich eines Morgens, er sei von Josef Kainz gesandt, der zufällig auf das Stück gestoßen sei und darin eine Rolle für sich sehe, nicht den Achill, den Matkowsky hatte darstellen wollen, sondern die tragische Gegenrolle des Thersites. Er werde sich sofort mit dem Burgtheater in Verbindung setzen. Der Direktor Schlenther war nun als Bahnbrecher des gerade zeitgemäßen Realismus aus Berlin gekommen und leitete (sehr zum Ärger der Wiener) das Hoftheater als prinzipieller Realist; er schrieb mir sofort, er sehe wohl das Interessante in meinem Drama, leider aber nicht die Möglichkeit eines über die Premiere hinauswirkenden Erfolges.
Erledigt, sagte ich mir nochmals, skeptisch wie ich von je gegen mich und mein literarisches Werk gewesen. Kainz dagegen war erbittert. Er lud mich sofort zu sich; zum erstenmal sah ich den Gott meiner Jugend, dem wir als Gymnasiasten am liebsten Hände und Füße geküßt, vor mir, biegsam der Körper wie eine Feder, geistvoll und von herrlich dunklem Auge beseelt das Gesicht noch im fünfzigsten Jahr. Ihn sprechen zu hören, war ein Genuß. Jedes Wort hatte auch in der privaten Konversation seinen reinsten Umriß, jeder Konsonant die geschliffene Schärfe, jeder Vokal schwang voll und klar; heute noch kann ich manches Gedicht nicht lesen, sofern ich es einmal von ihm habe rezitieren hören, ohne daß seine Stimme mitspricht mit ihrer skandierenden Kraft, ihrem vollendeten Rhythmus, ihrem heroischen Schwung; nie mehr ist es mir so zur Lust geworden, die deutsche Sprache zu hören. Und siehe, dieser Mann, den ich wie einen Gott verehrte, entschuldigte sich vor mir jungem Menschen, daß ihm die Durchsetzung meines Stücks nicht gelungen sei. Aber wir sollten einander von nun an nicht mehr verlorengehen, bekräftigte er. Eigentlich habe er eine Bitte an mich – ich lächelte beinahe: Kainz eine Bitte an mich! – und zwar: er sei jetzt viel auf Gastspielen und habe dafür zwei Einakter. Ein dritter fehle ihm noch, und
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