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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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eines Schriftstellers auch nach den größten Erfolgen nicht mehr wiederholen: es kam ein Brief mit dem Signet des Verlags, den man unruhig in Händen hielt, ohne den Mut, ihn zu öffnen. Es kam die Sekunde, wo man angehaltenen Atems las, daß der Verlag sich entschlossen habe, das Buch zu veröffentlichen und sich sogar das Vorrecht für die folgenden ausbedinge. Es kam das Paket mit den ersten Korrekturen, das man mit maßloser Erregung aufschnürte, um die Type zu sehen, den Satzspiegel, die embryonale Gestalt des Buchs, und dann nach wenigen Wochen das Buch selbst, die ersten Exemplare, die man nicht müde wurde zu beschauen, zu betasten, zu vergleichen, einmal und noch einmal und noch einmal. Und dann die kindische Wanderung zu den Buchläden, ob sie schon Exemplare in der Auslage hätten und ob sie in der Mitte des Ladens prangten oder bescheiden am Rande sich versteckten. Und dann das Warten auf die Briefe, auf die ersten Kritiken, auf die erste Antwort aus dem Unbekannten, dem Unberechenbaren – alle diese Spannungen, Erregungen, Begeisterungen, um die ich jeden jungen Menschen heimlich beneide, der sein erstes Buch in die Welt wirft. Aber dies mein Entzücken war nur eine Verliebtheit in den ersten Augen
blick und keineswegs Selbstgefälligkeit. Wie ich bald selbst über diese frühen Verse dachte, ist durch die einfache Tatsache bezeugt, daß ich nicht nur diese ›Silbernen Saiten‹ (dies der Titel jenes verschollenen Erstlings) nie mehr neu drucken, sondern kein einziges Gedicht daraus in meine ›Gesammelten Gedichte‹ aufnehmen ließ. Es waren Verse unbestimmter Vorahnung und unbewußten Nachfühlens, nicht aus eigenem Erlebnis entstanden, sondern aus sprachlicher Leidenschaft. Immerhin zeigten sie eine gewisse Musikalität und genug Formgefühl, um sie interessierten Kreisen bemerkbar zu machen, und ich konnte mich über mangelnde Aufmunterung nicht beklagen. Liliencron und Dehmel, die damals führenden lyrischen Dichter, gaben dem Neunzehnjährigen herzliche und schon kameradschaftliche Anerkennung, Rilke, der so sehr von mir Vergötterte, sandte mir als Gegengabe für das ›so schön gegebene Buch‹ einen ›dankbar‹ gewidmeten Sonderdruck seiner jüngsten Gedichte, den ich als eine der kostbarsten Erinnerungen meiner Jugend aus den Trümmern Österreichs noch nach England herübergerettet habe (wo mag er heute sein?). Gespenstisch freilich mutete es mich zuletzt an, daß diese erste freundschaftliche Gabe Rilkes an mich – die erste von vielen – vierzig Jahre alt war und die vertraute Schrift mich aus dem Totenreiche grüßte. Die unvermutetste Überraschung von allen jedoch war, daß Max Reger, neben Richard Strauss der größte damals lebende Komponist, sich an mich um die Erlaubnis wandte, sechs Gedichte aus diesem Bande vertonen zu dürfen; wie oft habe ich seitdem davon eines oder das andere in Konzerten gehört – meine eigenen, von mir selbst längst vergessenen und verworfenen Verse durch die brüderliche Kunst eines Meisters hinübergetragen über die Zeit.
    Diese unverhofften Zustimmungen, die auch von freundlichen öffentlichen Kritiken begleitet waren, zeitigten immer
hin die Wirkung, mich zu einem Schritt zu ermutigen, den ich bei meinem unheilbaren Mißtrauen gegen mich selbst nie oder zumindest nicht so frühzeitig unternommen hätte. Schon in der Gymnasialzeit hatte ich außer Gedichten kleinere Novellen und Essays in den literarischen Zeitschriften der ›Moderne‹ veröffentlicht, nie aber mich unterfangen, einen jener Versuche einer mächtigen und weitverbreiteten Zeitung anzubieten. In Wien gab es eigentlich nur ein einziges publizistisches Organ hohen Ranges, die ›Neue Freie Presse‹, die durch ihre vornehme Haltung, ihre kulturelle Bemühtheit und ihr politisches Prestige für die ganze österreichisch-ungarische Monarchie etwa das gleiche bedeutete wie die ›Times‹ für die englische Welt und der ›Temps‹ für die französische; selbst keine der reichsdeutschen Zeitungen war so sehr um ein repräsentatives kulturelles Niveau bemüht. Ihr Herausgeber, Moritz Benedikt, ein Mann von phänomenaler Organisationsgabe und unermüdlichem Fleiß, setzte seine ganze, geradezu dämonische Energie daran, auf dem Gebiete der Literatur und Kultur alle deutschen Zeitungen zu übertreffen. Wenn er von einem namhaften Autor etwas begehrte, wurden keine Kosten gescheut, zehn und zwanzig Telegramme hintereinander an ihn gesandt, jedes Honorar im voraus bewilligt; die

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