Die Wette
glücklich gewesen. Typisch der große Bruder, fühlte er sich wohler, wenn sie Brille und Schlabberkleider trug.
Aber nachdem sie fast den ganzen Vormittag über das Problem nachgedacht hatte und kaum zum Arbeiten gekommen war, beschloss Kasey, das Risiko einzugehen und Alicia anzurufen. Sie fragte, ob sie Lust hätte, sich mit ihr zum Lunch zu treffen.
“Sehr gern!”, sagte Alicia. “Ich habe dich vermisst!”
“Es geht nicht um Jim”, sagte Kasey schnell, besorgt, Alicia könnte den Anruf falsch verstehen.
“Das ist okay. Weißt du, ich war sehr traurig, dass wir den Kontakt verloren haben, nachdem Jim und ich uns getrennt hatten. Irgendwie war es unfair, auch dich als Freundin zu verlieren.”
“Stimmt. Und Tatsache ist, dass ich unbedingt einen Ratschlag benötige.”
Alice lachte. “Wenn es nach Jim geht, bin ich die Letzte, die dir einen Rat geben sollte.”
“Das sehe ich anders. Können wir uns um zwölf bei
Cocos
treffen? Das ist etwa auf halbem Weg zwischen deinem und meinem Büro.”
“Ich werde dort sein.”
“Super. Ich freu mich.” Kasey legte auf und fühlte sich schon viel besser. Alicia würde ihr helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Als Kasey das Lokal betrat, sah sie Alicia sofort. Sie hatte ihre dunklen Haare kurz schneiden lassen, doch ansonsten war sie ganz die Alte – groß und lebhaft, mit markanten Gesichtszügen und einem herrlichen Lächeln. Jim musste nicht alle Tassen im Schrank haben, dass er sich von dieser Frau getrennt hatte.
“Du siehst toll aus”, sagte Alicia, als sie sich in eine Nische gesetzt hatten. “Umschwärmen dich die Männer zu sehr, oder was ist los?”
“Nein, nur einer, aber ich habe ihm nicht gesagt, dass ich erst zwanzig bin.”
“Aha. Und du fürchtest, dass er durchdrehen wird.”
“Teilweise. Aber es geht noch weiter. Ich kenne ihn schon seit zwölf Jahren. Er ist mit Jim zusammen zur Schule gegangen.”
Alicia riss die sorgfältig geschminkten Augen auf. “Und das weiß er auch nicht, wette ich. Er erinnert sich nicht an dich. Und natürlich hast du auch einen anderen Nachnamen als Jim.”
“Genau. Ich wollte einfach etwas Spaß haben und dann tschüs. Vor zwölf Jahren war ich ganz vernarrt in ihn und so …”
“… war die Versuchung zu groß, um zu widerstehen.”
“Richtig.”
Die Kellnerin erschien, und Alicia wählte so schnell etwas aus, als sei sie am Essen eigentlich gar nicht interessiert. Kasey bestellte dasselbe Gericht, um Zeit zu sparen.
Nachdem die Kellnerin sich entfernt hatte, wandte Alicia sich wieder Kasey zu. “Ich verstehe völlig, warum du dich trotz des Altersunterschiedes mit ihm eingelassen hast.”
Kasey seufzte erleichtert. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Alicia anzurufen. “Die Sache ist die, Nick ist ein toller Mann. Alles zwischen uns ist … wunderbar. Er möchte eine feste Beziehung, und um ehrlich zu sein, habe ich mich auch in ihn verliebt. Aber ich bin doch erst zwanzig.”
Alicia lächelte. “Du wirkst älter.”
“Dank dir. Nick hat keine Ahnung, wie jung ich noch bin. Ich wette, er hält mich für fünfundzwanzig, vielleicht sogar älter. Ich habe ihm erzählt, dass ich bis vor Kurzem wie ein Mauerblümchen aussah und deshalb nicht viele Dates hatte und dass ich jetzt für mich herausfinden will, wie es ist, Single und attraktiv zu sein.”
“Ich wette, das kam nicht besonders gut an.”
Kasey dachte darüber nach, wie viel Mühe Nick sich gab, sie zu verstehen. “Er versucht, es mit meinen Augen zu sehen. Aber ich bin nicht fair zu ihm. Außerdem frage ich mich so langsam, ob es nicht dumm ist, mich von ihm zu trennen, damit ich mit anderen Männern ausgehen kann, die nicht annähernd so toll sind wie Nick.”
Alicia beugte sich vor. “Kasey, du musst ihm sagen, wie alt du bist. Dann siehst du, wie er reagiert. Im Moment hat er noch nicht genug Informationen über dich. Er verliebt sich in eine Frau, die er gar nicht richtig kennt.”
Was für ein deprimierender Gedanke. Aber Kasey wusste, dass Alicia recht hatte. Sie hatte in einer herrlichen Fantasiewelt gelebt, aber sie musste die Wahrheit sagen, auch wenn sie riskierte, dass Nick sie dann fallen ließ – oder auch nicht. “Angenommen, er rennt nicht schreiend davon, wenn er herausfindet, dass ich erst zwanzig und die Schwester seines früheren Freundes bin. Angenommen, er fühlt sich nicht schrecklich hintergangen. Angenommen, er will mich immer noch. Ist es dann verrückt von mir, an eine
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