Die Wiederkehr des gefallenen Engels
eine Mütze hat sie auf, dachte sie. Im mittelblonden Haar hatten sich Eiskristalle gebildet, die wie kleine Diamanten im Licht der Straßenlaterne funkelten. Es war 7.40 Uhr morgens. Januar in Rottenbach. Und beschissen kalt. Wenn nur Simone bald kommen würde.
Lara selbst hatte die dickste Jacke angezogen, die sie gefunden hatte. Darunter wärmten ein Wollpullover und ein langärmliges Sweatshirt zusätzlich. Im Gegensatz zu Jasmin trug sie dicke Boots an den Füßen, nicht unbedingt sexy, aber ausreichend warm.
Trotzdem ist mir kalt, dachte Lara. Wenn nur dieser eisige Wind nicht wäre.
Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien. Sie und Jasmin standen vor dem Heinrich-Heine-Gymnasium und warteten. Auf Simone. Ihre gemeinsame beste Freundin.
»Oh, Mann, wo bleibt die nur?«, beschwerte sich Jasmin.
»Keine Ahnung. Wenn sie nicht gleich auftaucht, gehen wir rein.«
»Ja, bevor ich mir hier noch was abfriere.«
Eine Gruppe Schüler ging mit gesenkten Köpfen vorbei. Alles Jungs. Baseballcaps und Wollmützen tief ins Gesicht gezogen. Ihr weißer Atem trieb wie eine Wolke vor ihnen her. Lara erkannte Robert, Fabian, Sam und …
… Ben.
Mist, dachte sie. Hoffentlich geht er weiter.
Er tat es nicht. Ein breites Lächeln wanderte über sein Gesicht. Die langen blonden Haare erinnerten Lara einmal mehr an Brad Pitt aus dem Film Legenden der Leidenschaft. Sie hatte den Film mehrfach mit ihrer Mutter gesehen und war begeistert gewesen, sowohl von der Handlung als auch von dem gut aussehenden Schauspieler.
Er ist ihm einfach verdammt ähnlich. Shit, er sieht wirklich klasse aus.
Die kurze Zeit, die sie mit Ben zusammen gewesen war, erschien ihr jetzt wie ein verblassender Traum. Ben war ihr erster richtiger Freund gewesen, aber die Beziehung scheiterte an der Tatsache, dass er körperlich von ihr mehr verlangte, als sie bereit war zu geben. Er wollte mit ihr schlafen, aber sie hatte gespürt, dass sie noch nicht so weit war.
»Irgendwann muss es passieren«, hatte er damals gesagt. Lara hatte sich bedrängt gefühlt und ihn das auch wissen lassen. Wütend war er davongestürmt. Einige Tage später war seine SMS gekommen:
Tut mir leid, aber ich denke, es ist besser, wenn wir uns eine Weile nicht mehr sehen. Ich habe jemand anderen kennen gelernt.
Es hatte sich angefühlt, als hätte ihr jemand das Herz aus der Brust gerissen und stattdessen ein glühendes Stück Metall hinterlassen. Was hatte sie sich die Augen aus dem Kopf geflennt. Die Zeit mit Ben war traumhaft gewesen. So aufregend. Alle Mädchen an der Schule hatten sie um ihre Beziehung zu ihm beneidet und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich schön gefühlt. Als etwas Besonderes. Nur wenige Worte hatten ausgereicht, um dieses Gefühl in ihr auszulöschen.
Um Ben zu vergessen, war sie vor drei Monaten in den Herbstferien nach Berlin zu ihren Großeltern gefahren. Und sie hatte vergessen, ihren Schmerz, aber seltsamer noch konnte sie sich auch kaum daran erinnern, was sie in Berlin erlebt hatte.
Klar, sie hatte sich die abwechslungsreiche Stadt angesehen, war shoppen gewesen, aber sonst? Alles lag wie hinter einem Nebelschleier verborgen. Wahrscheinlich habe ich gar nichts erlebt und erinnere mich deshalb nicht daran, dachte sie.
Großvater ist gestorben. An Herzversagen.
Noch immer trauerte Lara um den alten Professor, mit dem sie sich so gerne über die Welt und all ihre Geheimnisse unterhalten hatte.
Dann drängte sich Ben wieder in ihre Gedanken. Kurz nachdem sie nach Rottenbach zurückgekehrt war, hatte er eines Abends vor ihrem Haus gestanden.
»Was möchtest du?«, hatte sie ihn barsch gefragt.
»Es tut mir leid«, sagte er. Vier Worte, die sie tief getroffen hatten. Tiefer, als sie sich selbst eingestehen konnte.
»Was tut dir leid?«
»Alles. Wie mies ich dich behandelt habe. Kannst du …«
Die Worte waren auf seinen Lippen gestorben, bevor er sie aussprechen konnte. Ben wusste, er durfte nicht hoffen.
Dennoch, da waren noch Gefühle für ihn. Oder wollte sie, konnte sie einfach nur nicht allein sein? War es nicht so, dass sich ihr Herz nach jemandem sehnte, der sie halten und lieben würde? Alles war so verwirrend.
Ben, wie er dastand, sie anblickte und darauf hoffte, dass sie ihm verzeihen konnte. Damals hatte sie es nicht gekonnt und ihn weggeschickt, aber die Sehnsucht nach Liebe war geblieben.
»Hi, Lara«, unterbrach ihre Gedanken eine männliche Stimme. Ben. Sie war mit ihren Erinnerungen so weit weg gewesen,
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