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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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gestern schon einmal hier gewesen. Ihn hatten sie nicht angetroffen. Er blieb verschwunden, als wüsste er, dass sie nach ihm suchten.
    Die Treppen knarrten, als sie ungesehen die vier Stockwerke nach oben gingen. Er hatte unter dem Dach ein kleines Zimmer mit einer Dusche und einer Kochnische. Zu mehr hatte er es nicht gebracht. Ein Versager, ein Niemand. Er hatte noch nichts in diesem Leben geleistet. Er hatte die Zeit, die ihm gegeben war, damit zugebracht, Farbbeutel gegen Wände zu werfen und Leuten auf die Nerven zu fallen. Das alles wussten sie, denn sie hatten sich über ihn erkundigt. Sie hatten ihre Quellen, und es gab keinen Zweifel: Niemand würde ihn vermissen.
    Die altersschwache, gelb gefleckte Holztür war kein Hindernis. Sie brauchten knapp dreißig Sekunden, bis das Schloss aufsprang. Abgestandene und modrige Luft empfing sie. Das Zimmer lag im Dunkeln. Direkt neben dem Eingang war das Bad, gegenüber die Garderobe, an der zwei schäbige Jacken hingen. Der Strahl ihrer Taschenlampen huschte kurz darüber. Einer von ihnen durchwühlte die Taschen, die anderen machten sich über das Zimmer her. Bedächtig öffneten sie die Schubladen, vorsichtig durchsuchten sie die Schränke und den Schreibtisch. Niemand sollte bemerken, dass sie hier gewesen waren.
    In der rechten Ecke stand ein alter Mahagonischreibtisch. Viel zu wuchtig für den kleinen Raum, in dem sich noch die Kochnische, das Bett und eine Couch befanden.
    »Schau dir das an!« Der Größere deutete auf eine Weltkarte über dem Schreibtisch. Mit einem roten Stift waren Markierungen und Daten eingezeichnet. In der Arktis und Antarktis, in Südamerika, im Persischen Golf, in Russland und an der Nordseeküste befanden sich solche roten Punkte, die bei genauer Betrachtung einem Totenkopf ähnelten.
    Der Kräftige zog einen Packen Papiere mit aufgeklebten Zeitungsartikeln aus einem Regal und überflog die Überschriften. Es waren Artikel über Abholzungen im Regenwald und Ölbohrungen in der Arktis. Mörder hatte jemand mit krakeliger Handschrift unter die einzelnen Artikel geschrieben. »Ein Spinner.«
    Der Großgewachsene lächelte verächtlich und fuhr damit fort, die Schubladen des Schreibtisches zu durchsuchen.
    Unerwartet pfiff der Kräftige leise durch die Zähne. »Schau mal, das ist ein ganz schönes Früchtchen.« Er hielt dem Großen mit seinen von Latexhandschuhen überzogenen Fingern ein Blatt Papier unter die Nase.
    »Was soll das, du weißt, was wir suchen.« Der Große widmete sich dem Computer auf dem Schreibtisch.
    »Es ist nicht hier, ich habe alles auf den Kopf gestellt«, sagte der Kräftige nach einer Weile.
    »Sonst etwas Brauchbares?«
    »Ein paar nicht ganz jugendfreie Briefe von seiner Freundin.«
    »Mit Absender?«
    »Ja.«
    Der Hüne griff in seine Jackentasche und zog ein Handy hervor. »Sie ist also seine Freundin, so etwas«, flüsterte er, als er die Ziffern wählte.
    *
    Larsen schlief schlecht. Alpträume plagten ihn. Immer wieder erschien der dunkle Riese und krümmte den Zeigefinger. Plötzlich war die Hand des Hünen nicht mehr leer. Eine großkalibrige Pistole lag darin. Kurz bevor der Riese abdrücken konnte, erwachte Larsen schweißgebadet. Er schaute auf seine Armbanduhr. Kurz nach fünf. Er ging ins Bad und wusch sich das Gesicht. Dann setzte er sich auf die Couch und lauschte Töngens Schnarchen. Er verwarf den Gedanken, ihn zu wecken, zog seinen dicken Parka über und verließ das Haus.
    Die Fähre lief gegen sieben Uhr in den menschenleeren Hafen ein. Larsen hatte den Weg zu Fuß zurückgelegt und im Schutz des Bahnhofsgebäudes beim spärlichen Licht der wenigen Hafenlaternen gewartet. Der erwartete Schnee war zum Glück ausgeblieben. Es war nicht mehr so kalt wie am Tag zuvor und der Wind hatte nachgelassen.
    Er kannte den Kapitän. Gut eine Stunde später lief die Fähre in Richtung Norden wieder aus. Larsen stand an Bord und blickte über die Reling. Er war der einzige Passagier. Kein Wunder im November.
    Es war gut so. Larsen fühlte sich so sicherer. Cordes Anruf hatte ihn aufgewühlt. Larsen hatte Angst. Ein lähmendes Gefühl kroch auf seine Mitte zu. Er musste unbedingt mit Corde reden. Er griff in die Hosentasche. Noch ganze drei Mark und fünfundzwanzig Pfennig hatte er bei sich. Von der Bank hatte er ebenfalls nichts mehr zu erwarten. Er war pleite.
    Rike hatte ihm oft Geld gegeben. Jetzt war sie weg. Sie waren im Streit auseinander gegangen. Nach vier Jahren war sie einfach fort und er hatte

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