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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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schließlich, »thank you.«
    Er legte den Hörer langsam auf und sah zum Fenster hinaus, um sein Gesicht zu ordnen, bevor es Susanne sah.
    »Etwas Schlimmes?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Du möchtest nicht darüber sprechen?«
    »Wirklich nicht.« Er ging wieder auf die Flasche zu. »Ich muß weg«, sagte er.
    »Jetzt?«
    »Ja. In dieses verdammte Gefängnis. Nach Landsberg.«
    Sie dachte an die Nebel, die vom Ammersee aufstiegen, an den Alkohol, den er getrunken hatte, an die vielen Bäume am Straßenrand.
    Nach einer halben Stunde begann er zu sprechen; entgegen seiner Art umständlich. Er sagte, daß sein Vertreter angerufen und seit Stunden versucht hätte, ihn zu erreichen. Im Office sei für ihn eine Nachricht hinterlassen worden, daß der Verurteilte, den er noch sprechen wollte, morgen früh hingerichtet würde. »Und mit Toten«, schloß Felix, »kann man sich nicht unterhalten.«
    »Ein Bekannter?«
    »Ja.«
    »Und du hast – das – nicht verhindern können?«
    »Im Gegenteil«, versetzte er brutal, »ich habe das Urteil herbeigeführt. Ich bin Tausende von Kilometern gefahren, habe Lager um Lager untersucht. Ich habe Zeugen gekauft und bestochen. Ich habe den Mann an den Galgen gebracht.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt«, sagte er mit zu hoher Stimme, »jetzt muß ich diesem Kerl nur noch klarmachen, warum er stirbt. Ich will nicht, daß dieser Gefangene umkommt bei einem Verkehrsunfall. Er soll wissen, weswegen er hängt!«
    Die Bäume trugen schon Knospen, man sah sie nicht im Vorbeifahren; die Äste wirkten kahl, leer, trostlos, und sie schienen mit knochigen Armen, um die sich dicke Nebelschwaden wie schmutzige Leichentücher wickelten, nach dem klapprigen Ford zu greifen, der zaghaft über die nächtliche Straße rollte.
    Vor dem Ortseingang blieb er stehen; die Scheinwerfer hatten sich endgültig in der Nacht verloren. Felix stieg fluchend aus, suchte die Straße.
    »Wir sind da«, rief er vom Wegrand.
    Susanne erschrak, weil seine Stimme fremd klang, wie vom Wind verzerrt; die Haut in seinem Gesicht sah aus wie gesprungenes Eis.
    Felix starrte nach vorn, wie auf der ganzen Fahrt; sein Gesicht brütete im Dunkel des Wagens, dessen Heizung abgestellt war. Er spürte den Blick des Mädchens auf seinem Gesicht. Die Reifen polterten auf dem schlechten, nassen Pflaster. Die Gebäude gähnten. Der Wagen fuhr eine lange Schleife aus und dann auf den idyllischen Marktplatz zu, dessen Häuser Wand an Wand standen, als wärmten sie sich aneinander.
    Der Wagen hielt, Felix stieg aus; Susanne folgte ihm fröstelnd zum Eingang, der finster war, verdunkelt wie im Krieg. Sie gingen einem spärlichen Lichtschein nach und traten in ein Nebenzimmer.
    »Ich komme gleich wieder – es geht ganz schnell«, sagte Felix. Er drehte sich noch einmal um. »Bis gleich.«
    Ein müder Kellner begrüßte Susanne mißmutig, betrachtete ihr Gesicht, lächelte unschlüssig. »Wie lange haben Sie auf?« fragte sie.
    »Die ganze Nacht«, erwiderte der Mann; seine Stimme dämpfend, deutete er auf einen Tisch mit mehreren Frauen in der Ecke, die still waren und alt und grau dasaßen, vom Leben verbraucht. »Wegen ihnen«, sagte der Kellner. »Unsere Zimmer sind besetzt – wir müssen den Raum offenhalten für sie.« Er sah, daß Susanne die Andeutungen nicht verstand, und ergänzte mit blassem, unsicherem Lächeln: »Ihre Männer werden doch morgen früh – gehängt …«
    Susanne verstand, erschrak; sie ließ sich eine Zeitung bringen und versteckte ihr Gesicht. Ihre Hände wurden müde, aber sie wagte nicht, das Blatt sinken zu lassen; sie wollte den Augen dieser Frauen nicht begegnen.
    Sie wirkten wie die Besucher vor den Operationssälen, die in ihrer Not jeden, der über den Gang kommt, ansprechen und nach dem Zustand des Patienten fragen. Sie hatten vor ein paar Stunden von ihren Männern Abschied genommen, grausamen endgültigen Abschied; seitdem sahen sie auf die Uhr, froren dabei, dachten an die Operation, hofften, daß sie ausfiele, obwohl sie wußten, daß sie morgen früh stattfinden müßte.
    Viele von ihnen hatten seit Jahren geahnt, daß dieser Morgen einmal kommen würde. Nicht wenigen von ihnen war von den Männern in der Rotjacke vieles angetan worden, aber sie hatten es vergessen, weil sie Mütter waren und Kinder hatten: Kinder, deren Väter morgen früh gehängt wurden.
    Sie starrten die Reporter an, die gelegentlich, leise auftretend, in den Raum kamen, als erwarteten sie von ihnen Hilfe, obwohl diese

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