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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Vorsitzende, »würde ich hier keine Grimassen schneiden – Sie haben nichts zu lachen, Ritt.«
    »Jawohl, Herr Kriegsgerichtsrat«, antwortete Martin mit gleichmütiger Stimme.
    Dr. Schiele sah ihn fest an.
    »Sie sind das also«, sagte er, »Ihr Fall stand mir schon in der Voruntersuchung bis dahin«, er hob die Hand bis zum Kinn.
    »Jawohl, Herr Kriegsgerichtsrat.«
    »Sie verstehe ich überhaupt nicht«, fuhr Dr. Schiele fort, »Sie haben in Frankreich einen Panzerdurchbruch aufgefangen und sich das EK Eins geholt – beim Vormarsch auf Moskau waren Sie zum Ritterkreuz vorgeschlagen –, na ja, es reichte nicht ganz, aber immerhin erhielten Sie später doch das Deutsche Kreuz in Gold.« Der Vorsitzende hob den Kopf, betrachtete den Angeklagten. Seine hervorquellenden Augen wirkten wie grüne Glaskugeln. »Und dann laufen Sie einfach davon, ohne jeden Grund. Was ist los mit Ihnen, Ritt? Sie waren doch ein verdienter Soldat.« Die Glaskugeln schienen aufeinander zuzurollen.
    Martin schwieg. Er wußte, daß es töricht war.
    Eine Stunde vor der Verhandlung hatte ein Wärter ihm eine dampfende Hundeschüssel mit dem Frühstück und ein geöffnetes Amtsschreiben gebracht, frei durch Ablösung Reich. Es war eine Mitteilung des Landgerichts II in Frankfurt, daß seine Ehe mit Bettina Ritt, geborene Dahlberg, geschieden und das fast einjährige Kind Petra der Mutter zugesprochen worden sei und daß er die Alleinschuld trage.
    Der Häftling in der Todeszelle schob Essen und Brief von sich weg, abgestumpft gegen beides; an das Essen hatte er sich gewöhnt und von Bettina nichts anderes erwartet.
    Sie war eines jener Mädchen gewesen, die mit Blumensträußen und verlegenen Worten in die Krankenstuben der Soldaten entsandt wurden, damit die Landser wüßten, wofür sie kämpften.
    Es war ein Mißverständnis der Zeit, denn die eben Kurierten wären lieber geschlossen in einen Soldatenpuff gezogen, als sich Gänseblümchen und Ringelreihen anzusehen. So standen sie hilflos herum und begegneten der vaterländischen Aufmerksamkeit mit scheuen Blicken, gedrechselten Worten und gutmütigem Spott.
    Eine der Sängerinnen fiel Martin auf. Sie war älter als die anderen, hatte einen Pagenkopf mit glatten dunklen Haaren, ein auffallend blasses Gesicht mit vielen Sommersprossen und dazu eine unfrauliche Nase. Sie bewegte den Mund so eifrig, als singe sie immer eine Silbe mehr.
    Dieses Mädchen, Bettina Dahlberg, wirkte apart, wenn auch nicht hübsch. Ihre Augen begegneten Martin. Später, als man im Lazarett zum heiteren Teil überging, saß sie neben ihm, und er erfuhr, daß sie Jura studiere und ihre Eltern in der Provinz wohnten, daß sie allein sei, sich aber nichts daraus mache. Die Art, in der sie über Männer sprach, in der sie ihre Selbständigkeit, den gleichen Rang der Geschlechter betonte, die heftige Beteuerung, sie habe das Jurastudium gewählt, um auch als Frau unabhängig zu bleiben, schienen ihm ein handfester Komplex zu sein.
    Auf einmal faszinierte ihn, wohl weil er zuviel getrunken hatte, der Unsinn, daß dieses Mädchen, das in Lazaretten vor verwundeten Soldaten sang und Hefekuchen verteilte, die Männer pauschal verachtete.
    Auch Bettina hatte getrunken. Ihre Worte wurden schneller, ihre Bewegungen hektischer. Als der Hauptmann einmal mechanisch nach ihrer Hand griff, stieß Bettina sie weg, als spüre sie Ekel, was ihn mehr belustigte als verärgerte.
    Er stand auf und suchte ein anderes Mädchen, um aus dem Abend vielleicht doch noch etwas zu machen, aber Bettina folgte ihm, rückte an ihn heran, ihn stets ihrer Abneigung versichernd. Er trank weiter und spürte auf einmal eine frivole Lust, dieses virile, hübschbeinige, blaustrümpfige Geschöpf zu verführen – ein Spiel auf der Durchreise, eine Gewohnheit des Soldaten, in der Pause des Sterbens.
    Martin richtete sich auf energischen Widerstand ein und versuchte, ihn mit wissenden Händen zu umgehen, aber zu seiner Überraschung preßte sich das seltsame Mädchen mit einem solchen Ungestüm an seinen Körper, daß er, statt anzugreifen, einen Moment lang vor ihr zurückwich.
    Er begleitete sie nach Hause, und ihm schien, als würde er abgeführt. Bettina nahm ihn mit in ihr Zimmer, das einfach war, aber kleinbürgerlich, und noch im Stehen warf sie sich wieder an seine Schultern.
    Er sah über sie hinweg, über ihre glatten, nach Männerart geschnittenen Haare, sah den Riß in der Wand, der wie eine Stirnfalte wirkte und mit dem Wochenspruch der

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