Die Wohltäter: Roman (German Edition)
Kollegen, festgelegte Aufgabengebiete. Darüber hinaus sollte man Stress und körperliche Arbeit mit einem verschobenen Nackenwirbel so lange wie möglich vermeiden.
Ninos hatte genickt, dankbar ein weiteres Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente entgegengenommen und von allem etwas eingeworfen, um sich dann brav zur Arbeitsvermittlung in Kungsholmen zu begeben. Sogar einen schlechtsitzenden Anzug hatte er angezogen.
Der Arbeitsvermittler hatte ihm erklärt, es sei nicht erlaubt, zu arbeiten, solange man krankgeschrieben sei. Ninos wandte ein, dass es auch nicht besonders klug sei, bei der Arbeitssuche anzugeben, dass man krankgeschrieben sei. Die Bemerkung hatte ein irritiertes Stirnrunzeln beim Arbeitsvermittler ausgelöst, der daraufhin von verschiedenen »Projekten« sprach, in die man Ninos einbinden könne. Es handele sich dabei nicht um wirkliche Arbeit, sondern eher um eine Art Jobtraining, erklärte er.
Für Ninos klang das vollkommen nutzlos: zu arbeiten, ohne richtig zu arbeiten und ohne die Möglichkeit, eine richtige Arbeit zu finden. Bezahlt würde er dafür wohl auch kaum. Er hatte von Kindesbeinen an gearbeitet und hatte nicht das Gefühl, dass ausgerechnet ein Job training das wäre, was er am dringendsten brauchte.
Er hatte schon immer gewusst, wie man arbeitet. Es schien ihm ein merkwürdiger Gedanke, das nicht zu können.
Ninos Mutter war in den sechziger Jahren nach Deutschland gekommen, um als Haushälterin bei einer deutschen Familie zu arbeiten und zusätzlich als Köchin in einer Großküche in einem Kurort, später kam noch eine Wäscherei hinzu. Im darauffolgenden Jahr wurde Ninos mit seiner Schwester zur Mutter geschickt, und kurz darauf kam auch der Vater nach.
Im Alter von sieben Jahren hatten Ninos und seine Schwester ihre erste Arbeit – als Erdbeerpflücker. Kleine Kinder waren dafür besser geeignet als ältere, weil sie die Erdbeeren leichter erreichen konnten, hatte Ninos gehört. Damals, erinnerte er sich, hatte er nach zahlreichen Stunden Arbeit auf den Erdbeerfeldern zum ersten Mal Nackenschmerzen gehabt. Später war er nach dem Prinzip verfahren, dass man immer etwas Neues probieren konnte, wenn eine Sache scheiterte, und getreu diesem Motto hatte Ninos als Kronkorkensammler, Dolmetscher, Friseur, Restaurantbesitzer, Zeitungsbote, Marktschreier und Gogotänzer gearbeitet. Unter anderem. Dabei war eine Menge Geld geflossen und wieder versickert. Er hatte viel Spaß gehabt und zwischendurch hin und wieder Chaos verursacht, aber niemals Probleme, die man nicht wieder hätte in Ordnung bringen können. Er strebte nach einem lustigen Leben, und es gelang ihm fast immer, auch seine Umgebung mit seinem Enthusiasmus anzustecken. Er war vom Südosten der Türkei nach Deutschland gelangt und weiter nach Schweden, hatte gelernt, immer wieder überzeugend zu lügen, um sein Leben zu retten, und konnte fast alle Menschen, die ihm begegneten, zu etwas überreden.
Die schlimmste schwedische Redensart, die er kannte, war »eins nach dem anderen«. Er hatte sie erst in der Schule gelernt, und später hatten Chefs, Freunde und Freundinnen sie ständig wiederholt. Es sei besser, eine Sache nach der anderen zu erledigen, meinten diejenigen, die Ninos alles auf einmal tun sahen, in seinem scheinbar perfekt koordinierten Chaos.
Die Menschen fanden es nicht nur unhöflich, wenn er das Telefon am Ohr hatte, Zeitung las, mehrere Gespräche gleichzeitig führte und dabei aß. Sie hatten auch genörgelt, als er zwei Restaurants gleichzeitig betrieb, nebenbei Konzerte arrangierte und seine gesamte Familie in seine Tätigkeiten einspannte. Er konnte sieben Tage die Woche sechzehn Stunden täglich arbeiten und mehrere Geschäfte gleichzeitig führen. Seinen Kumpel Yilmaz nahm er immer auf den Arm, indem er ihm weismachte, der Aufzug der Kreisbehörde sei defekt und sie müssten die Treppe nehmen. Er selbst flog die Treppen förmlich hinauf und verspottete Yilmaz, der nur keuchend hinterherkam.
Zurzeit, dachte Ninos bitter, tat er allerdings rein gar nichts und bewegte sich wie ein altes Weib. Alles war zum Stillstand gekommen. Die wenigen Tage, an denen er an der Welt außerhalb hatte teilnehmen dürfen, waren nun vorüber – Yamo hatte sein Restaurant wieder übernommen und ihn auf sein Krankenlager zurückgeschickt.
Ninos saß in der Pipersgata am Fenster und blies Zigarettenrauch hinaus nach Kungsholmen. Sein Trainingsanzug war etwas unförmig und verfärbt, kaschierte aber
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