Die Wundärztin
überlebt. Kein Wunder, dass Fritzchen, inzwischen immerhin schon sechs Wochen alt, neue Hoffnungen geweckt hatte. Meinte es das Schicksal so schlecht mit ihr, dass es ihr diesen Wunsch wieder zunichtemachen wollte?
»Beeil dich!« Energisch fasste Rupprecht Magdalena am Arm.
»Ich tue, was ich kann.« Sie keuchte. Die Seiten schmerzten, ihr wurde schwindlig vor Anstrengung, aber sicherlich auch vor Angst.
Rupprecht gab nichts auf ihren Zustand. »Meister Johann und Roswitha sind schon lange bei deinen Eltern. Überall haben wir dich gesucht, aber du warst nirgends zu finden. Hast wohl wieder was Besseres zu tun gehabt, was?«
Ein seltsamer Blick streifte sie. Plötzlich ahnte sie, dass er wusste, wo sie gesteckt hatte.
»Warum bist du nicht gekommen und hast mich geholt?«
»Hättest du das wirklich gewollt?« Noch bevor sie etwas erwidern konnte, fügte er hinzu: »Ist dir eigentlich klar, was das für deine Eltern bedeutet?«
In seiner Frage schwang mehr mit als nur Sorge um ihre Eltern. Er war doch nicht etwa eifersüchtig? Abrupt blieb sie stehen, zwang ihn, ebenfalls innezuhalten. Prüfend musterte sie ihn. Ja, das war es: Er konnte es selbst nicht ertragen, dass sie sich mit Eric traf! Wie hatte sie die ganze Zeit nur so blind sein können? Viel zu sehr war sie in den letzten Tagen mit Eric beschäftigt gewesen. Deshalb waren ihr wohl die Veränderungen bei Rupprecht entgangen. Nein, sie musste ehrlich mit sich sein: Sie hatte es nicht sehen wollen. Immerhin war er seit Kindertagen ihr Gefährte. Niemand war ihr so vertraut, nicht einmal Eric. Darüber aber sollte sie nicht jetzt nachdenken, da es um das Leben ihres kleinen Bruders ging. Sie gab sich einen Ruck. »Geh zurück und lass mich allein. Das ist meine Familie, nicht deine.«
Verblüfft starrte er sie an. Sie wartete seine Reaktion nicht ab, sondern verschwand um die nächste Ecke. Bis sie das Haus des Kaufmanns erreichte, in dem ihre Eltern logierten, wagte sie es nicht, sich umzudrehen. Dennoch war sie sicher, dass Rupprecht ihr nicht folgte.
Eine gespenstische Ruhe empfing sie in der kühlen Diele des mehrstöckigen Anwesens vis-à-vis der Martinskirche. Außer Atem stürmte sie die Treppen in den ersten Stock hinauf, wo ihre Mutter im weitläufigen Schlafgemach der ursprünglichen Hausbesitzergattin residierte. Gerade streckte sie die Hand nach der Türklinke aus, da ertönte ein Schrei. Verwirrt schoss sie herum.
»Wo kommst du jetzt her?« Wie aus dem Nichts stand Elsbeth vor ihr und verstellte ihr den Weg.
Im düsteren Flur war es zwar angenehm kühl, dennoch spürte Magdalena, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. »Was schleichst du dich hier herum? Warum bist du nicht drinnen bei Babette und dem Kleinen?«
»Das fragst ausgerechnet du?« Kerzengerade richtete sich die Cousine auf, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte von oben auf sie herab. Sie war gut einen Kopf größer als Magdalena. Die wasserblauen Augen funkelten zornig im dämmrigen Licht. Energisch warf sie das lange blonde Haar zurück, das sie wie immer offen trug. Ihrer einnehmenden Schönheit war sie sich sehr bewusst. »Warum stehst du nicht selbst längst am Krankenbett deiner Mutter und tust alles, um deinem kleinen Bruder das Leben zu retten? Das wäre doch eher die Aufgabe der Tochter als der Nichte, noch dazu, wenn das verehrte Fräulein Tochter Wundärztin ist, eine allseits hochgepriesene mit angeblichen Zauberhänden noch dazu!«
»Lass mich durch!« Magdalena wollte sie beiseiteschieben, doch sie war nicht stark genug und musste abwarten, bis Elsbeth den Weg freigab. Dazu war diese aber nicht bereit.
»Eins lass dir gesagt sein«, hob sie an, »du bist keineswegs die Bessere von uns beiden. Nur weil ich die Tochter von Babettes verstorbener Schwester bin und vor meinem prügelnden Stiefvater bei euch Zuflucht gesucht habe, musst du mich nicht behandeln wie eine Leibeigene.« Ihre Stimme ging in ein wütendes Zischen über: »Statt dich mit zwielichtigen Schurken wie diesem Eric im Stroh zu wälzen, hättest du heute Nacht lieber hier sein und der armen Babette helfen sollen. Vielleicht wäre es dann gar nicht erst so weit gekommen mit dem Kleinen. Aber du hattest ja wieder Besseres im Sinn als das Wohl deiner Familie. Du denkst immer nur an dich.«
»Halt endlich die Klappe und lass mich vorbei!« Magdalena gab sich alle Mühe, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Doch sie hörte selbst, wie sehr man ihr das schlechte Gewissen anmerkte.
Die
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